Und weg bist du (German Edition)
wurde die Scheibe hell erleuchtet und kurz verschwand mein Spiegelbild. Donner folgte und ich schob noch kräftiger. Hatte Hazel Frey unsere geheimen Ausgänge schließlich gefunden und diesen Fluchtweg zugenagelt? Doch warum hatte sich dann die Seitentür so leicht öffnen lassen? Was wäre, wenn Seale House mich herein-, aber nicht mehr herauslassen wollte?
Mit beiden Händen griff ich nach einem kleinen Hocker. Wieder blitzte es. Kurz vor dem zwangsläufig darauf folgenden Donner schleuderte ich den Hocker mit Wucht gegen die Scheibe. Er sprengte das Glas mit einem Krachen, das von dem Grollen draußen geschluckt wurde. Splitter flogen in alle Richtungen, einer davon schnitt mir in die Hand. Es brannte, war aber keine ernsthafte Verletzung. Ich schlug mit dem Hocker die restlichen Scherben aus dem Rahmen und hievte mich in dem Moment auf das schmale Fensterbrett, als die Zimmertür aufgestoßen wurde.
Der kalte Wind raubte mir den Atem, doch ich schwang mich aufs Dach, wie Jack, Noah und ich es Dutzende Male getan hatten. Natürlich hatte in jenen Nächten normalerweise der Mond geschienen und es war nicht so stürmisch gewesen. Ich kletterte bis zum First und balancierte dann vorsichtig darauf entlang. Ich ermahnte mich, nicht nach unten zu schauen, so wie Noah es uns immer wieder eingetrichtert hatte. Der Wind blies mir die Haare ins Gesicht und zog mir fast die Füße weg, dennoch bewegte ich mich langsam, aber stetig vorwärts.
Im Vergleich zu dem beißenden Geruch nach Rauch und feuchter Asche im Haus tat die frische Luft gut. Als ich mich umdrehte, erblickte ich jedoch die Silhouette des Jungen. Wie ein riesiger, vornübergebeugter Affe lief er das Dach hinauf. Scheinbar mühelos drückte er sich von den verwitterten Ziegeln ab. War er wahnsinnig? Wie konnte er so schnell sein? Ich versuchte mit aller Kraft, so rasch wie möglich über den First zu balancieren – trotz des Windes, der mir um die Beine fegte. Schließlich näherte ich mich der vertrauten Stelle, wo der First auf den Überhang eines weiteren Daches stieß. Doch dann blieb ich mit der Schuhspitze an einem vorstehenden Ziegel hängen, stolperte und landete hart.
Ein Stück des angekohlten Daches gab unter meinen Händen nach. Ich schrie auf und fuchtelte haltsuchend mit den Armen, während Ziegel und Holz laut krachend in die darunterliegende Etage stürzten. Verzweifelt klammerte ich mich an Balken fest, die einer nach dem anderen zerbröselten wie abgebrannte Streichhölzer. Der dunkle Abgrund drohte mich zu verschlingen. Aber ich schaffte es, mich behutsam von dem Loch zu entfernen. Wenn ich nicht gestolpert und mit den Händen zuerst auf dem Dach gelandet wäre, hätte es ohnehin schlecht für mich ausgesehen, da ich mit Sicherheit auf die brüchige Stelle getreten und postwendend durch den Dachboden hindurch bis in die darunterliegende Etage oder gleich ins Erdgeschoss gesaust wäre.
Mein Verfolger mit dem Messer lachte wie eine hysterische Hyäne. Doch diese unmenschlichen Laute trieben mich nur weiter an, den Krater hinter mir zu lassen. Zum Glück hielt das Loch auch ihn auf, so dass mir genug Zeit blieb, um das nächste Dach zu erreichen.
Ich überquerte dessen First und ließ mich auf der anderen Seite hinab. Da sich dicke Wolken vor den Mond geschoben hatten, konnte man kaum etwas erkennen, doch in gewisser Weise war es, als würde ich eine in Vergessenheit geratene Karte lesen. Nächste Station war eine riesige Birke sein, mit Ästen, die bis an das Dach heranreichten und eine Art natürliche Leiter bildeten. Unglücklicherweise hatte sich die Karte in den Jahren, seit ich fort war, verändert. Ich stand auf dem Rand des Daches, strich mir das Haar aus dem Gesicht, das mir der Wind in die Augen blies, und schaute auf einen erbärmlichen Baumstumpf weit unter mir. Das war alles, was von der stattlichen Birke noch übrig geblieben war.
Bevor ich darüber nachdenken konnte, was ich tun sollte, wurde ich von etwas Hartem im Rücken getroffen. Ich fuhr herum und merkte, dass mein Verfolger Dachziegel wie Frisbeescheiben nach mir warf. Ich duckte mich und wich aus. Der nächste Ziegel prallte von meiner Schulter ab. Den Schmerz bemerkte ich jedoch kaum, da mir in dem Moment eine Windböe die Füße wegzog. Ich verlor das Gleichgewicht, stürzte abermals der Länge nach hin und rutschte das steile Dach hinunter. Gesicht und Wange schrammten unsanft über die raue Eindeckung. Schließlich blieb auch noch der Saum meines T-Shirts
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