Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Titel: Und wenn es die Chance deines Lebens ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
Vom Netzwerk:
wissen, dass solche Dinge vertraulich behandelt werden müssen ...«
    »Großer Gott, Sie können sich auf mich verlassen! Meine Lippen sind versiegelt. In unserem Job gibt es viele Klatschmäuler, aber ich tue so etwas nicht. Das gehört sich nicht.«
    »Danke, Madame Boule. Machen Sie sich keine Sorgen. Schönen Abend noch, Madame Boule.«
    Frédéric stieg im Eilschritt die Treppe hinauf. Er öffnete die Tür und knipste das Licht an. Seine Bilder waren noch da. Frédéric wusste, wie so etwas ablief. Er nahm die Kopie der Pfändungsurkunde von der Konsole. Das hatte er befürchtet. Der Sisley, dessen Wert die Höhe der Schulden um das Zehnfache überstieg, gehörte nun dem Gläubiger. Das Gemälde musste in der Wohnung verbleiben, und Frédéric durfte es nicht verkaufen. Wenn er nicht innerhalb eines Monats seine Schulden in Höhe von 50.000 Euro beglich, würde der Gerichtsvollzieher wiederkommen und den Sisley beschlagnahmen. Und dann würde Frédéric sein Gemälde niemals wiedersehen.
    Vor Wut bebend griff er nach seinem Handy, doch im selben Moment erinnerte er sich, dass der Akku leer war.Er schmetterte es auf den Boden, worauf das Display zersplitterte, und rannte zu dem Telefon in seinem Arbeitszimmer. Die nächste Stunde verbrachte er damit, mit Paul, seinem Steuerberater, zu telefonieren. Er befand sich in einer katastrophalen Lage. Frédéric hatte viel zu lange die Augen vor seiner verheerenden finanziellen Situation verschlossen. Paul hatte immer gesagt, es sei unvernünftig, sich so hoch zu verschulden, um sich dieses Kunstwerk zu kaufen. Jetzt musste er so schnell wie möglich seine Finanzen in Ordnung bringen und die Schulden zurückzahlen. Sonst würde der Gerichtsvollzieher bald erneut vor seiner Tür stehen.
    Er und sein Steuerberater gingen alle Möglichkeiten durch. Freunde, ja, Freunde hatte Frédéric. Freunde, die er bitten konnte, ihm übers Wochenende ihren Porsche oder ihre Villa in Saint-Tropez zu überlassen. Freunde, denen er sein Herz ausschütten konnte. Allerdings gab es niemanden in seinem Freundeskreis, ja, wirklich niemanden, dem er gestehen konnte, dass er pleite war. Für jemanden, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, war es einfach zu beschämend, kein Geld zu haben. Für jemanden aus der High Society kam das dem Untergang gleich, aber einem armen Menschen geschah es einfach nur recht.
    Nachdem sie eine Stunde gerechnet und über Strategien diskutiert hatten, hatte Frédéric eine Idee, wie er die 50.000 Euro in bar auftreiben und verhindern konnte, dass das Gemälde beschlagnahmt wurde. Erstens würde er den Kristalllüster an einen Antiquitätenhändler seines Vertrauens verkaufen, der in bar dafür bezahlen würde.
    Zweitens musste er Witherspoon um einen kleinen Gefallen bitten. Der einzige Name in seinem Adressbuch, der seine Probleme lösen könnte. Das bedeutete zwar, zu den äußersten Mitteln zu greifen, doch in dieser Situation blieb Frédéric kaum eine andere Wahl. Er würde John am Montagmorgen anrufen.

Mit einer himmelblauen Frischhaltedose in der Hand stand Pétronille vor der Tür des Zimmers 312. Sie hatte geklopft, jedoch nicht sehr laut. In dem Zimmer war es still. Heute stand für sie alles auf dem Spiel. Ihr Versäumnis, John Witherspoon nicht über die Terminverschiebung informiert zu haben, ließ ihr keine Ruhe. Morgen musste sie Frédéric den Fehler beichten. Wenn sie mit einem umfassenden Bericht im Büro auftauchte, wäre ihr Chef davon vielleicht so beeindruckt, dass er eher geneigt war, ihr die Nachlässigkeit zu verzeihen. Für den Besuch bei Ernest Villiers hatte sie zehn kleine Windbeutel mit Pistaziencreme mitgebracht.
    Pétronille klopfte noch einmal, hörte jedoch abermals keine Aufforderung einzutreten. Mit John Witherspoons Flüchen und der Angst um ihren Job im Hinterkopf öffnete sie leise die Tür.
    »Monsieur Villiers? Verzeihung ...«
    Ernest Villiers lag in dem Zweitbettzimmer allein in seinem Bett und schlief. Pétronille hatte mit einem Patienten gerechnet, der sich wegen einer neuen Hüfte oder eines gebrochenen Arms im Krankenhaus aufhielt. Dieser Mann hier hingegen war schwer krank und furchtbarabgemagert. Sein Gesicht war von gelblicher Farbe, und unter dem spärlichen weißen Haar konnte man die Flecken auf seiner Stirn sehen. In Frédérics Geburtsurkunde stand, dass sein Vater 67 Jahre alt war. So wie er jetzt hier in diesem Bett lag, sah er jedoch aus wie 100. Pétronille dachte an ihren Vater, einen

Weitere Kostenlose Bücher