Und wenn wir fliehen (German Edition)
Autos erinnerte. Ich steuerte darauf zu und hörte, dass die anderen mir folgten. Wir waren nur noch wenige Häuserfronten davon entfernt, als sich vor uns etwas bewegte. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
Zwei Gestalten in schweren Mänteln kamen direkt hinter dem zweiten Auto um die Ecke geschlendert. Wir warteten ab, während sie sich näherten. Im Augenwinkel sah ich Leos Hand in die Jackentasche gleiten, in der die Leuchtpistole steckte. Mein Puls raste.
»Hey, ihr da!«, rief eine der Gestalten, als sie noch ungefähr drei Meter von uns weg waren. Ein Mann, dessen helle Augen uns feindselig anblickten. »Was macht ihr hier?«
»Möglichst keinen Ärger«, antwortete Gav. Er hielt den Ast nach unten gerichtet, aber deutlich sichtbar seitlich am Körper. »Wir brauchen nur ein bisschen Benzin für unseren Wagen.«
»Das hier ist unsere Stadt«, erwiderte der Mann, ohne jedoch näher zu kommen.
Ich überlegte, ob sie wohl nur zu zweit waren – gegen uns sechs hätten sie im Ernstfall nichts ausrichten können. »Wir haben was gegen Fremde, die hier einfach reinmarschieren und sich nehmen, was sie wollen.«
»Aber wir brauchen es!«, rief Meredith. Ich wollte sie packen, doch sie entzog sich meinem Griff. »Es ist wirklich wichtig. Wir müssen nach Ottawa und ihnen den Impfstoff geben, damit sie das Virus aufhalten können.«
Der Mann zog die Augenbrauen hoch. »Impfstoff? Es gibt keinen Impfstoff gegen die Insel-Grippe.«
Ich sah keinen Sinn mehr darin, jetzt noch zu lügen.
»Wir haben einen neuen Prototyp«, erklärte ich. »Mein Vater war Wissenschaftler – er hat ihn entwickelt. Wir versuchen in die Hauptstadt zu kommen, um jemanden zu finden, der mehr davon herstellen kann. Wir brauchen nur ein bisschen Hilfe, um es bis dorthin zu schaffen.«
Der Mann betrachtete uns einen Moment lang eingehend.
»Na gut«, sagte er dann zu seinem Begleiter, »vielleicht sollten wir sie im Augenblick einfach in Ruhe lassen, was meinst du?«
Ohne ein weiteres Wort drehten sie sich um und gingen gemächlich denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Ein seltsames Kribbeln kroch mir den Nacken hinauf. Ich war zwar froh, dass sie uns in Frieden ließen, und er meinte ja anscheinend, wir könnten uns nehmen, was wir brauchten, aber irgendetwas an seinem Verhalten kam mir bedrohlich vor.
»Die haben sich doch einigermaßen vernünftig angehört«, sagte Tessa, nachdem die beiden außer Sichtweite waren. Ich hörte auf, ihnen hinterherzustarren und lief schnell zum nächststehenden Auto.
Der Tankdeckel wollte nicht aufgehen. Gav versuchte es an der Tür, verzog das Gesicht und hob dann den Ast hoch, um das Fenster auf der Fahrerseite einzuschlagen. Er beugte sich hinein und betätigte die Entriegelung. Ich schraubte den Verschluss auf und steckte das eine Ende des Schlauchs in den Tank. Das andere Ende nahm ich in den Mund und bereitete mich innerlich auf das Benzin vor, das ich gleich schmecken würde, falls ich nicht schnell genug reagierte und aus Versehen welches einsaugte. Meredith wartete neben mir mit dem Eimer.
Doch alles, was aus dem Tank kam, war Luft. Ich ruckelte am Schlauch, versuchte ihn tiefer hineinzubekommen, und saugte noch einmal. Nichts.
»Er ist leer«, sagte ich.
»Lass mich mal.« Gav kniete sich neben mich, hatte aber genauso wenig Erfolg wie ich.
»Scheint so, als hätte jemand anderes dieselbe Idee gehabt«, meinte Leo.
Der zweite Wagen erwies sich als ebenso leer wie der erste. Wir gingen noch ein wenig weiter und versuchten es bei einem Pick-up, der scheinbar mitten auf der Straße zum Stehen gekommen war, und bei einem Transporter in einer der Seitenstraßen, doch keiner von beiden gab auch nur einen einzigen Tropfen Benzin her.
»Irgendwer hat sie schon alle leer gemacht«, sagte ich. Der Mann, der uns vertreiben wollte, etwa? »Kommt, wir gehen zurück zum Truck. Wir können ja ans andere Ende der Stadt fahren. Vielleicht hat sich derjenige, der hier das Benzin abgesaugt hat, nur für die Hauptstraße interessiert.«
»Nichts dagegen einzuwenden«, erwiderte Tobias und Gav nickte.
»Meredith«, sagte Leo, als wir zurück Richtung Tankstelle stapften. »Von jetzt an sprichst du besser nicht mehr mit Fremden. Ich weiß, dass du nur helfen wolltest, aber die Leute haben alle Angst davor, krank zu werden, und einigen von ihnen ist es vielleicht ganz egal, dass wir die Impfstoffproben brauchen, um mehr davon zu machen. Sie wollen sie womöglich bloß für sich selbst.«
Meredith
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