Und wenn wir fliehen (German Edition)
Tessa vor. »Um es ein bisschen gemütlicher zu machen.«
Tobias nickte. »Dann kühlen wir auch nicht so leicht aus.«
Tessa und Meredith hatten ein Auge auf den schmelzenden Schnee, während der Rest von uns nach oben ging. Gav und Leo holten die große Matratze aus dem Elternschlafzimmer und schleppten sie nach unten, während Tobias und ich uns eine kleinere aus einem der Zimmer weiter hinten im Flur schnappten. Ich gab mir Mühe, möglichst keine Notiz von dem Krimskrams in den Regalen und den Büchern auf dem Nachttisch zu nehmen.
Als wir die Matratze endlich zum oberen Treppenabsatz geschoben hatten, stand mir der Schweiß auf der Stirn. »Zieh lieber deine Jacke aus, wenn dir heiß wird«, riet mir Tobias. »Wenn deine Klamotten erst mal feucht sind, hast du es später viel schwerer, dich warmzuhalten.«
Ich nickte und hängte die Jacke über das Geländer, so dass ich sie unten wieder abnehmen konnte. »Du weißt eine ganze Menge darüber, wie man in der Kälte überlebt.«
»Ich hatte ’ne entsprechende Ausbildung«, antwortete er. »In Kanada. Hätte ja nicht viel gebracht, wenn ich nicht wenigstens ein paar Dinge behalten hätte.«
Ich sah ihn an – sah ihn richtig an, zum ersten Mal, seit er uns erzählt hatte, was da im Hafen passiert war. Ich hatte nichts anderes als einen weiteren Soldaten in ihm gesehen, der uns hätte beschützen sollen und dabei versagt hatte. Er war nur ein paar Jahre älter als ich. Er hatte irgendwo da draußen Eltern, vielleicht Brüder und Schwestern, Freunde – Menschen, von denen er nicht wusste, ob sie noch lebten oder schon tot waren. Er hatte den einzigen sicheren Zufluchtsort verlassen müssen, den er besaß. Ausbildung hin oder her, er hatte mit Sicherheit Angst. Und er war immer noch hier.
»Danke«, sagte ich. »Dafür, dass du uns hilfst. Mit allem. Ich darf gar nicht drüber nachdenken, in welchem Schlamassel wir ohne dich wären.«
Er wandte sich mit einem Ruck zu mir um. Seine Haltung entspannte sich, und er lächelte mich schüchtern an. »Ich mach bloß das, was ich gut kann.«
Während wir anderen die Decken ausbreiteten, stellte Tobias das Sprechfunkgerät an, das er unbedingt hatte mitnehmen wollen, und ging damit hinaus auf die Vordertreppe. Zehn Minuten später kam er kopfschüttelnd und komplett mit Schnee berieselt wieder herein. »Ich kann nicht ein einziges Signal reinkriegen heut Abend.«
Wir schliefen genauso wie im Truck, jeder in seine Decke gehüllt und dann dicht aneinandergeschmiegt nebeneinander unter den ausgebreiteten Schlafsäcken. Im ersten Moment sträubte sich mein Körper noch gegen die beengte Position, doch dann überwältigte mich die Erschöpfung, und ich dämmerte, Gavs Atem am Ohr, in den Schlaf hinüber. Es kam mir vor, als sei fast keine Zeit vergangen, als die Morgensonne durchs Fenster schien und mich weckte.
Das Feuer war zu Glut verglommen, doch der Raum hielt immer noch etwas Wärme. Als ich mich aufsetzte, schmerzten meine Bauchmuskeln vom vielen Schlittenziehen am Tag zuvor. Ich schob mich zwischen Gav und Meredith heraus, die daraufhin anfingen sich zu bewegen, und machte mich auf, um nach dem Impfstoff zu sehen.
Die Temperatur in der Kühlbox sah gut aus, doch die Kühlakkus begannen langsam aufzutauen. Ich nahm drei von den vieren heraus und legte sie auf meinen Schlitten, in der Hoffnung, sie würden wieder einfrieren, während wir tagsüber unterwegs waren. Anschließend brach ich ein paar Eiszapfen draußen von den Fenstern, um damit die Box aufzufüllen.
Inzwischen waren die anderen aufgestanden. Wir schlangen gemeinsam ein paar Dosen eingemachte Pfirsiche herunter und kauten einige Müsliriegel, während wir dabei die Schlitten packten. Als wir sie gerade zurück ins Freie trugen, stieß Meredith einen aufgeregten Schrei aus. »Ich sehe ein Auto!« Sie zeigte auf ein schneebedecktes Gebilde an der Straße ein paar Auffahrten weiter unten. »Glaubt ihr, der Schlüssel dafür ist im Haus?«
»Kann nicht schaden, mal nachzusehen«, sagte Gav. Wir marschierten alle hinüber. Während er und Tobias anfingen, das Auto freizulegen, stiegen Tessa und ich die Vordertreppe hinauf. Die Tür ließ sich problemlos öffnen.
»Wenn du ein Autoschlüssel wärst, wo würdest du dich verstecken?«, fragte ich.
Tessa ließ den Blick durch den Hausflur gleiten. »Kein Schlüsselbrett. Kein Flurtisch. Vielleicht eine Schublade in der Küche?«
In einem Korb unter dem Schuhregal lagen ein paar wollene Fausthandschuhe.
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