Und wenn wir fliehen (German Edition)
und Müdigkeit. Ich hatte immer noch das Bild des gelben Hauses vor Augen. Es war gar nicht so weit weg. Wenn wir es doch nur finden könnten, auch ohne dass es zu sehen war.
Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf das Haus. Manche Vögel konnten Hunderte von Kilometern weit wegziehen und immer wieder an denselben Ort zurückkehren. Hunde und Katzen konnten riesige Entfernungen durch unbekanntes Gebiet zurücklegen, um zurück nach Hause zu finden. Welchen angeborenen Orientierungssinn diese Tiere auch immer hatten, vielleicht besaß ich ihn ja auch, irgendwo ganz tief in mir drin.
Mir blieb fast die Luft weg, als der Wind mir entgegenschlug, aber ich zwang mich zum Weitergehen. Einen Schritt, dann noch einen. Bahnte mir den Weg durch den Schnee. Ich winkte den anderen zu, zog das weiße Bettlaken nach vorn, damit sie meine Jacke von hinten besser sehen konnten. Taubheit kroch mir die Beine hinauf, doch ich ignorierte es. Geh einfach zu dem Haus. Nicht denken, nur gehen.
Ich hatte das Gefühl, schon stundenlang gelaufen zu sein, als ich mit der Fußspitze irgendwo hängenblieb und ins Straucheln geriet. Eine Hand ergriff meinen Arm und hielt mich fest. Ich drehte mich noch nicht einmal um, um nachzusehen, wer es war, so sehr befürchtete ich, meine Orientierung zu verlieren. Ich biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. Irgendwo da draußen war das Haus – ein Haus mit Feuerholz und einem Kamin und Wänden, um die Kälte draußen zu halten.
Ich drängte weiter, so schnell ich nur konnte. Ich musste es erreichen, bevor ich es nicht mehr finden würde.
Der Wind drehte sich, trommelte von hinten auf mich ein, und ich stolperte weiter vorwärts. Plötzlich trafen meine Hände auf etwas Hartes. Ich starrte auf sie hinab, starrte einen Augenblick lang auf die Fläche darunter, bevor ich realisierte, was ich da sah. Eine hellgelbe Holzwand.
Als wir in der Schule über Bücherverbrennungen gesprochen hatten, war mir bei dem Gedanken ganz anders geworden. Doch als ich die Bücher in dem gelben Haus aus den Regalen zog, hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen. Wir froren. Hinter uns stand ein gusseiserner Kaminofen, und in einem Brennholzbehälter lagen ein paar Holzscheite, aber nichts zum Anzünden. Mit Papier war das kein Problem.
Ich riss mehrere Seiten aus einer zerlesenen Ausgabe von Vom Winde verweht und stopfte sie in den Ofen. Gav zündete die vorderste davon an. Wir schlossen die Ofentür, und die Flammen begannen hinter der rußgetrübten Scheibe zu flackern.
»Meinst du, die Scheite fangen Feuer?«, fragte ich.
»Wenn nicht, können wir mit ein bisschen von dem Campingkocher-Benzin nachhelfen«, sagte Tobias hinter mir. Er zitterte und rückte näher heran.
Am Fenster fegte mit ungezügelter Wucht der Schnee vorüber. »Wenigstens sieht keiner den Rauch da hindurch«, sagte ich. Allerdings konnten wir es wahrscheinlich auch nicht riskieren, jemanden vor die Tür zu schicken, um nach dem Holzstapel zu suchen. Ich hatte schon Geschichten darüber gehört, dass Leute sich nur ein paar Meter vom eigenen Haus entfernt im Schneesturm verirrt hatten.
Als wir neulich auf die Künstlerkolonie gestoßen waren, hatte der heftige Schneefall nur eine Nacht lang angehalten. Vielleicht würden wir ja gar kein zusätzliches Feuerholz mehr brauchen.
Als die Flammen langsam kleiner wurden, steckten wir noch mehr Buchseiten in den Ofen. Nachdem wir das ein paarmal wiederholt hatten, sprang das Feuer auf das Holz über. Es begann zu knistern, und warme Luft durchströmte den Raum.
»Ich sehe keine Lüftungsschlitze oder Heizkörper«, stellte Leo fest. »Sie scheinen das ganze Haus mit dem Ofen beheizt zu haben.«
»Ich wette, wir können auch darauf kochen«, sagte Gav und tippte mit dem Schürhaken auf die flache Oberseite.
Wir standen darum herum und tankten die Wärme. Ein Kribbeln breitete sich in meinen Beinen und meinem Gesicht aus, als die Haut, die ganz taub geworden war, wieder zum Leben erwachte. Nach einer Weile streifte ich die Jacke ab und legte sie auf das geblümte Sofa.
»Sieht so aus, als würden wir mindestens bis morgen hierbleiben«, sagte ich. »Lasst uns mal das Haus inspizieren.«
»Einer sollte das Feuer im Auge behalten, damit es nicht ausgeht«, antwortete Tobias, woraufhin Gav ihm den Schürhaken in die Hand drückte.
»Danke, dass du dich freiwillig meldest«, sagte er mit einem schelmischen Grinsen.
»Ich schmelze in der Zeit noch ein bisschen Schnee in den
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