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Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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die Dinger reingepinkelt.« Er schüttelte die Ampulle, so dass die bernsteinfarbene Flüssigkeit gegen das Glas schlug.
    »Stell das zurück«, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Ich war so wütend und panisch zugleich, dass meine Stimme zitterte. »Du lässt ja die ganze kalte Luft raus – du machst sie unbrauchbar. Nein, warte, lass lieber mich.«
    Ich streckte die Hand aus. Er seufzte und gab mir die Ampulle.
    Die anderen beiden Proben standen sicher in ihrem Halter. Ich schob die dritte daneben und verschloss den Kunststoffbehälter.
    »Es ist ihnen bestimmt nichts passiert«, beruhigte mich Gav, der hinter mir stand. »Hier hinten ist es noch kein bisschen warm geworden.«
    Ich ließ den Deckel zuschnappen und richtete mich auf. Er hatte recht. Die Kälte drang von draußen durch die Scheiben, zog durch meine Kleider. Und wenn ich ausatmete, bildete sich ein feiner Nebel vor meinem Gesicht.
    »Deshalb ist es noch lange nicht in Ordnung«, erwiderte ich. »Wenn er die Kühlbox zu lange offen gelassen hätte, wären sie am Ende noch eingefroren.«
    »Hab ich aber nicht«, kam es von Justin. »Ich war vorsichtig.«
    »Wie kannst du vorsichtig sein, wenn du überhaupt keine Ahnung davon hast?«, herrschte ich ihn an. »Allein schon sie da rauszunehmen, war unvorsichtig!« Ich schnappte mir den Griff der Kühlbox, sah ihn wütend an und schaute dann zu Gav und zu Leo, der inzwischen ebenfalls im Türrahmen stand.
    »Ab jetzt rührt niemand mehr diese Box an, außer mir. Verstanden?
    »Kae«, sagte Gav.
    »Verstanden?«, wiederholte ich.
    Er zuckte mit den Schultern. »Klar.«
    »Hätte ich sowieso nicht getan«, antwortete Leo.
    Ich sah wieder zu Justin. »Ist gut«, murmelte er.
    Mir reichte es. Ich trug die Kühlbox in den Hausflur und versteckte sie anschließend hinter dem Geländer der Veranda. Dann stürmte ich nach oben und stieß nacheinander alle Türen auf, bis ich einen Raum fand, von dem ich mir sicher sein konnte, dass niemand mir dorthin folgte. Ich ließ mich auf den Toilettensitz sinken und legte den Kopf in die Hände. Tränen begannen durch meine Finger zu rinnen.
    In der Stille dröhnten mir immer noch die Schüsse vom Vortag in den Ohren. Der dumpfe Laut, mit dem die Frau mit der roten Mütze zu Boden gestürzt war. Und das Tosen des Windes vor dem Haus ging mir durch Mark und Bein.
    Das war alles zu viel.
    Ich stieß einen zitternden Seufzer aus. Dann wurden die Tränen langsam weniger, und ich wischte mir über die Augen. Nach und nach zog sich die Flut der Gefühle wieder zurück und hinterließ eine gewisse Ruhe. Ich stand auf und beugte mich über das Waschbecken, betrachtete meine geröteten Augen im Spiegel. Damit und mit meinen vom Wind zerzausten Haaren sah ich schrecklich aus. Aber auch entschlossen.
    Ich hatte das Recht, wütend auf Justin zu sein, oder etwa nicht? Zugegeben, es gab eine Menge, was ich nicht wusste, aber ich wusste besser als alle anderen hier, wie man mit Impfstoff umgeht. Wenn es eine Sache gab, bei der ich das Sagen haben sollte, dann das. Und ich hatte das Sagen. Er konnte die Proben nicht länger als eine Minute herausgenommen haben; ich hatte ihn erwischt, bevor sie verdorben waren. Und ich glaubte nicht, dass er das noch einmal machen würde. Jetzt waren sie sicher.
    »Das ist doch schließlich das Wichtigste«, sagte ich zu meinem Spiegelbild. Wir würden noch eine lange Zeit unterwegs sein. Eine lange Zeit, in der ich auf den Impfstoff aufpassen musste. Und ich würde auf keinen Fall zulassen, dass der Grund dafür, dass wir diesen weiten Weg gekommen waren, den Bach runterging.
    Denn ohne den Impfstoff hätten wir nichts mehr, worauf wir noch hoffen könnten.

Achtzehn
    Am nächsten Morgen erwachte ich vom Schnee, den der Wind gegen die Scheibe peitschte.
    Nur trübes Licht durchdrang den Sturm, der draußen immer noch tobte. Doch die Luft, die ich im Gesicht spürte, war leicht angewärmt. Dank des Ofens hatten wir die Nacht einmal nicht alle aneinandergequetscht verbringen müssen.
    Ich drehte mich vorsichtig zur Seite. Gavs Augen waren geschlossen, seine zerzausten Locken fielen ihm über die Stirn, und eine Hand war nach mir ausgestreckt. Wir hatten am Abend zuvor ohne große Worte das Hauptschlafzimmer eingenommen, und ich war so erschöpft gewesen, dass ich in dem Moment, in dem mein Körper die Matratze berührte, sofort eingeschlafen war. Jetzt setzte jedoch plötzlich mein Herzschlag kurz aus, obwohl wir beide komplett angezogen waren

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