Und wenn wir fliehen (German Edition)
Männer um die Ecke und schleppten ein elektrisches Gerät von der Größe eines Mini-Kühlschranks mit sich. Was dachten sie bloß, was sie ohne Strom mit dem Ding anfangen könnten? Ich hatte das ungute Gefühl, dass sie sich einfach das nahmen, was bis jetzt noch keiner gestohlen hatte, völlig wahllos.
»Komm«, sagte ich, »lass uns hier verschwinden«, und zu der Frau: »Danke. Und viel Glück.«
»Das war erst der Anfang«, tröstete Leo mich, als wir zur Tür hinaus hasteten.
»Ich weiß«, antwortete ich und stieß mit dem Fuß gegen etwas Hartes.
Der Stoß schüttelte ein bisschen Schnee von dem Gegenstand, den ich getroffen hatte. Etwas Braunes kam zum Vorschein, ragte aus der Schneeverwehung neben dem ausgetretenen Pfad, der zum Klinikeingang führte. Ich starrte es sekundenlang an, bevor die Erkenntnis bei mir ankam.
Ein Stiefel. Die Spitze eines Stiefels. Unter der geriffelten Schneefläche konnte ich beinahe die Umrisse eines Beines erkennen, einer Brust … ich sah schnell weg. Der Schnee war überall. Wie viele Leichen lagen wohl darunter? Mir wurde ganz übel.
»Das war erst der Anfang«, wiederholte ich leise. Und ohne mich noch einmal umzusehen, lief ich mit großen Schritten auf den Truck zu.
Gav sah es mir am Gesicht an, als ich wieder einstieg. »Nichts?«
Ich schüttelte den Kopf und nahm den Autoatlas in die Hand. Die Linien und Straßennamen verschwammen mir vor den Augen. Ich blinzelte, versuchte mich zu konzentrieren.
»Ein paar von den anderen Krankenhäusern sind vielleicht noch in Betrieb«, sagte ich. »Und es gibt bestimmt noch staatliche und öffentliche Forschungslabore, meint ihr nicht? Die haben sie wahrscheinlich besser gesichert, so dass die Leute, die dort arbeiten, nicht weglaufen mussten.«
Keiner hatte jedoch die geringste Vorstellung, wo diese Labore sein könnten, was natürlich der eigentliche Grund für ihre Sicherheit war.
Drew würde es vielleicht wissen. Er hatte die Stadt viel gründlicher erkundet, als ich es je wollte. Falls er noch am Leben war. Falls ich es noch einmal schaffen würde, ihn zu erreichen.
Ich schluckte den Kloß herunter, der sich in meinem Hals bildete. »Wir könnten es als Nächstes mit dem Rathaus versuchen«, schlug ich vor und tippte auf der Karte auf das geschwungene Gebilde in der Nähe des Hafenviertels. »Die haben sicher keine Forschungslabore, aber vielleicht sind da Leute von der Stadtverwaltung, die uns sagen können, wohin wir uns wenden sollen.«
»Wenn die nicht auch alle abgehauen sind«, erwiderte Gav.
»Hast du vielleicht ’ne bessere Idee?«, fragte ich.
Er machte ein entschuldigendes Gesicht. »Nein. Du hast recht, macht schon Sinn, es da zu versuchen.«
Er stieß mit dem Truck zurück und wendete. Wir schlängelten uns durch die Straßen Richtung Rathaus, nahmen immer die, die am wenigsten mit Autos und Schnee verstopft waren. In einigen stand Wagen an Wagen wie eine Reihe von Eisskulpturen und bildeten einen permanenten Stau.
»Irre«, sagte Justin, als wir aus einer zugestauten Straße, in die wir versehentlich eingebogen waren, rückwärts wieder herausfuhren. »Was haben die bloß alle gedacht, wo sie hinkönnten?«
Es wäre ganz egal gewesen. Als die Leute so viel Angst bekommen hatten, gab es schon keinen Ort mehr, der wirklich sicher gewesen wäre.
Wir waren nur noch ein paar Querstraßen vom Rathaus entfernt, als Leo plötzlich erstarrte.
»Stell den Motor ab«, sagte er.
»Was?«, fragte Gav.
»Stell ihn einfach ab!«
Gav riss den Schalthebel in Parkposition und drehte den Zündschlüssel um. In dem Moment, in dem unser Motor verstummte, hörte ich in der Ferne einen zweiten rumpeln.
»Gutes Gehör«, lobte Tobias.
Leo antwortete nicht. Während wir horchten, wurde das Motorengeräusch lauter und ebbte dann langsam wieder ab, ohne unseren Weg zu kreuzen.
»Hätte das nicht vielleicht einer von den Rathaus-Typen gewesen sein können, die wir aufspüren wollen?«, fragte Justin.
»Wer immer es geschafft hat, in der Stadt ein Auto so lange am Laufen zu halten … er muss darum gekämpft haben«, antwortete Leo. »Gekämpft und gewonnen.«
»Dann sollten wir ihnen lieber aus dem Weg gehen«, sagte ich.
Die Straße entlang des Rathauses war verlassen. Berge von Schnee bedeckten den Vorplatz, wo in früheren Jahren eine riesige Eislaufbahn aufgebaut worden war. Wir hatten regelmäßig Schulausflüge dorthin gemacht.
Tobias blieb beim Truck zurück und übernahm, das Gewehr quer über dem
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