Und wenn wir fliehen (German Edition)
nachgelassen, drückte er die Tür auf, kletterte hinaus und zerrte sich dabei den Schal über Mund und Nase.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich auch zu Fuß gehe«, sagte er steif.
»Gav«, sagte ich, aber er schüttelte den Kopf. Also stieg ich ebenfalls aus. Ich wollte ihn nicht alleine laufen lassen.
Er hustete weiter, während Tobias losfuhr. Leo hatte ihm offensichtlich erklärt, wonach wir suchten. Wir marschierten neben dem Wagen her, Gav und ich auf der einen, Justin auf der anderen Seite, und fingen an zu rennen, wenn es nötig war, wieder aufzuholen. Direkt hinter dem Rathaus erstreckte sich eine lange Reihe Apartmenthäuser. Vor jedem einzelnen hielt Tobias an, und Justin flitzte hinein, um sich umzusehen. Erst beim zwölften hielt er den Daumen hoch, als er zurückkam.
Das Tor zur Tiefgarage stand offen. Tobias parkte den Truck auf der Rückseite des Gebäudes, und wir schnappten uns so viele von unseren Sachen, wie wir tragen konnten. Erst als wir bereits bis zum vierten Stock nach oben gestiegen waren, um etwas Distanz zwischen uns und potentielle Plünderer zu legen, erwähnte Justin unser anderes Problem wieder.
»Müssen wir etwa in derselben Bude abhängen wie er, wenn er so drauf ist?«, fragte er und zeigte auf Gav, der ein paar Schritte hinter uns geblieben war.
»Ich werd im Schlafzimmer bleiben und die Tür zulassen«, versprach Gav. »Niemand muss in meine Nähe kommen.«
Justin machte ein finsteres Gesicht, sagte aber nichts mehr. Wir stellten unsere Taschen ins Wohnzimmer der Wohnung, die wir ausgesucht hatten, und er ging zusammen mit Leo und Tobias zurück, um unsere restlichen Vorräte zu holen. Ich folgte Gav ins Schlafzimmer.
Sämtliche Möbel harmonierten mit dem glänzenden Schwarz des Fußbodens, während die Wände und die Bettdecke im Kontrast dazu cremeweiß waren. Die Luft war eiskalt. Es hatte den Anschein, als wären wir in einen richtigen Yuppie-Eispalast geraten. Gav sank neben der Kommode auf den Boden und rieb sich durch den Schal den Mund.
»Ich weiß genau, was du jetzt denkst«, sagte er. »Hör damit auf.«
Er konnte es aber nicht wissen. Weil ich nämlich bis dahin gar nichts gedacht hatte. Ich war einfach nur neben dem Truck hergelaufen, hatte mit mir getragen, was nötig war, und dabei nicht einen einzigen Gedanken aufkommen lassen.
Jetzt fiel mir das allerdings immer schwerer.
Ich machte den Mund auf, stellte aber fest, dass mein Hals zugeschnürt war. Alles in meinem Inneren war wie zugeschnürt, als versuchten sämtliche Organe, sich zu kleinen festen Kugeln zu ballen. Ich schluckte und setzte mich ihm gegenüber, als er wieder zu husten begann.
Er sah mich an, die lässige Kopfhaltung im krassen Gegensatz zu seinen hängenden Schultern. Ich bemerkte, wie er die Lippen aufeinanderpresste und wieder lockerte. Es war ihm anzusehen, dass sein krampfhaftes Bemühen, ruhig zu bleiben, ihn anstrengte, als sei es eine schwere körperliche Tätigkeit.
Er legte die Finger um mein Handgelenk und zog sachte daran. Als traute er sich nicht, richtig Trost zu suchen. Ich ging einen Schritt auf ihn zu, da schlang er die Arme um mich und zog mich mit einem erleichterten Aufatmen an sich. Als ich mich auf seinem Schoß niederließ, presste er sein Gesicht in meine Haare. Heftig blinzelnd, erwiderte ich seine Umarmung.
»Du bist da«, sagte er. »Also wird alles gut.«
Ich schloss die Augen, doch die Tränen, gegen die ich angekämpft hatte, schlüpften trotzdem heraus, rannen mir die Wangen herunter. Ich wollte ihm sagen, dass natürlich alles gut würde, dass mit ihm alles gut würde. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich genug daran glaubte, um es auch überzeugend auszusprechen. Aber es so zu sagen, als glaubte ich es nicht, wäre schlimmer, als gar nichts zu antworten.
In Wahrheit kannte ich niemanden, der das Virus ohne irgendeine zusätzliche Immunisierung überlebt hatte. Hätte ich einfach ein bisschen von meinem Blut nehmen und es Gav geben können, dann wäre er vielleicht wieder gesund geworden, so wie Meredith. Aber was Nell da gemacht hatte, war viel komplizierter gewesen. Sie hatte alle möglichen Verfahren angewandt, die ich nicht kannte.
»Es muss doch noch einen einzigen Arzt in dieser Stadt geben«, sagte ich. »Ich werde ihn finden und dazu bringen, eine Bluttransfusion zu machen, wie Nell bei Meredith. Meine Blutgruppe ist 0 negativ, also können sie es nehmen, egal welche Blutgruppe du hast. Bei Meredith hat es schließlich auch
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