Und wieder Carmel
sieht, dann klappt das vermutlich.“
„Ich muss ihn ja nicht küssen.“ Alex grinste amüsiert.
„Ich auch nicht“, antwortete ich und griente, da ich Alex‘ Anspielung verstand.
„Von der Tradition eures Landes habe ich noch nie gehört. Wurde sie erst
kürzlich eingeführt oder …“
„Ja, das ist ganz neu, um Missverständnissen vorzubeugen …“
„Missverständnissen?“, fragte Alex belustigt nach.
„Oder fehlender Zuneigung.“
„Das schon eher“, sagte Alex ernst. „Für Scott ist das eine gute Erklärung, mit
offener Ablehnung kann er nicht sonderlich gut umgehen.“
„Was passiert dann?“
„Du magst es nicht glauben, aber er ist dann wochenlang total deprimiert. Es
ist schwer, ihn wieder aufzumuntern.“
„Wie oft ist das denn vorgekommen?“
„Ich glaube, es war bisher erst zwei Mal.“
Jill tauschte die Salatschüsseln gegen den Fischteller und wünschte uns einen
guten Appetit.
„Hmm, lecker“, sagte ich mit dem ersten Bissen im Mund.
„Ja, das schmeckt wirklich sehr gut.“
„Was ist mit Peter und Marc, bist du mit ihnen ebenso befreundet wie mit
Scott?“
„Wir vier kennen uns ein Leben lang. Wir sind immer zusammen. Ich kann nicht
sagen, wer von ihnen mir am Nächsten steht. Wie ist es bei dir? Eine oder
mehrere Freundinnen in Hamburg?“
„Meine beste Freundin verbringt auch gerade ein Jahr hier in Kalifornien, sie
ist bei Gasteltern in Monterey untergebracht.“
„Wie praktisch. Und Amy? Sie ist sicher nicht begeistert, dass deine Freundin
so nah bei Dir wohnt, oder?“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich würde Amy als besitzergreifend und fordernd
einschätzen.“
„Die erste Begegnung zwischen Claire und ihr verlief eher frostig. Würdest du
sagen, es ist Eifersucht und nicht, dass sie sie unsympathisch fand?“
„Ich tippe auf Eifersucht. Rebecca konnte nie die Freundin sein, die Amy
gebraucht hat. Jemanden wie dich.“
„Jemanden wie mich?“
„Abenteuerlustig und folgsam.“
„So siehst du mich?“
„Aus Amys Sicht, ja. Du bist hierher gereist, Tausende von Meilen, also
abenteuerlustig. Dazu unternimmst du alles mit ihr zusammen.“
Ich kaute den letzten Bissen Fisch, den ich vorab in die leckere Zitronensoße
getunkt hatte und überlegte. Abenteuerlustig und folgsam, ist das jetzt gut
oder schlecht?
„Möchtest du noch ein Dessert oder einen Kaffee?“, fragte Alex.
„Ein Dessert, den Erdbeerbecher“, sagte ich.
Alex bestellte zwei Erdbeerbecher als Jill das Geschirr abräumte. Dann fragte
er: „Hast du Geschwister?“
„Ja, eine ältere Schwester. Und du?“
„Einen älteren Bruder. Er geht aufs College.“
„Wie heißt er?“
„Felix. Und deine Schwester?“
„Carola.“
„Carola“, versuchte Alex zu wiederholen. „Deutsch ist eine schwere Sprache.“
„Find ich nicht.“ Ich lachte auf und Alex griente verständnisvoll.
„Für mich schon. Meine Muttersprache liegt dir offensichtlich im Blut, bis auf
das Wort Kupplung“, erklärte er.
„Ja, ein Wort, welches ich schon immer wissen wollte und ab heute jeden Tag
verwenden werde.“
„Das hoffe ich doch.“
„Im Übrigen, wenn du Deutsch lernen möchtest, kann ich es dir gern beibringen.“
Seine Gesichtszüge änderten sich von freundlich lächelnd in ernst und
ablehnend. Seine Augen entzogen sich meines Blickes, er sah auf den leeren
Tisch vor ihm und sagte leise: „Wozu?“
Ich schluckte. Was? Hab ich mich verhört? Ich sah ihn fassungslos an und
rang nach Worten. Wozu? Wozu? Ja, was weiß ich ...
„Was?“, fragte ich verunsichert nach.
„Ich fragte, wozu ich Deutsch lernen sollte.“
Der meint das ernst .
„Keine Ahnung. Du musst ja nicht“, stammelte ich.
„Ich kann mit Deutsch nichts weiter anfangen. Das hat nichts mit
Ausländerfeindlichkeit zu tun, falls du das jetzt wieder denkst.“
„Aber falls du mal nach Deutschland kommst?“, wagte ich einen zweiten Versuch.
„Ich denke nicht“, sagte er ernst und ohne nachzudenken.
Ein unbekannt bedrückendes Gefühl verbreitete sich in meinem Inneren. Jill
stellte unsere Desserts vor uns hin und wünschte uns weiterhin guten Appetit.
Wortlos schob ich mir zwei große Erdbeeren in den Mund, um nicht sprechen zu
müssen und Zeit zu gewinnen. „Schmeckt es dir?“, erkundigte sich Alex
freundlich, als wenn nichts gewesen wäre.
Ich nickte und fühlte die Unsicherheit zurückkehren. Mir wurde klar, dass er
nicht bereit war, etwas für mich zu tun, mir entgegen zu kommen. Dieses Essen
diente nur dem Zweck, sich für die Lebensrettung zu
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