Undank Ist Der Väter Lohn.
Terry Cole erlitten hatte, zu erwarten gewesen wären. Am Fuß des Pfeilers hatte sich das Blut jedoch gesammelt, wie Lynley sah. Es war auf den Stein gespritzt und dann in kleinen Rinnsalen aus einer Höhe von etwa einem Meter auf den Boden hinuntergelaufen.
Lynley blieb stehen. Sein Blick wanderte von der Feuerstelle zu dem niedergetretenen Pfad. Im Geist sah er das Bild des Jungen, das der Polizeifotograf aufgenommen hatte, sah das von Flammen entstellte Gesicht. Er bedachte die einzelnen Punkte:
Blutspritzer beim Feuer.
Blutlachen am Fuß des Pfeilers.
Blutrinnsale aus einer Höhe von einem Meter.
Eine junge Frau flieht in die Nacht.
Ein Steinbrocken trifft sie am Kopf, zerschmettert ihr den Schädel.
Lynley kniff die Augen zusammen und atmete langsam ein. Natürlich, dachte er. Warum hatte er nicht gleich erkannt, was sich da abgespielt hatte?
Die Angaben, die sie von Nicola Maidens ehemaliger Vermieterin in Islington hatten, führten Barbara Havers und Winston Nkata zu einem Mehrfamilienhaus in der Rostrevor Road in Fulham. Sie erwarteten, sich mit einer Wirtin oder Hausmeisterin auseinandersetzen zu müssen, um Zutritt zu Nicola Maidens Wohnung zu erhalten. Daher waren sie überrascht, als sich, nachdem sie pro forma geläutet hatten, über die Sprechanlage eine Frau meldete, die sie aufforderte, sich vorzustellen.
Nachdem Nkata mitgeteilt hatte, daß die Kriminalpolizei vor der Tür stand, trat eine Pause ein. Dann sagte die Frau: »Ich komme sofort herunter.« Ihre Sprechweise war so kultiviert, als studierte sie in ihrer Freizeit fleißig Rollen in historischen Dramen. Barbara erwartete, daß sie in voller Jane-Austen- Montur erscheinen würde: Empirekleid, weiße Strümpfchen und Ringellöckchen. Gut fünf Minuten später – »Wo genau kommt die eigentlich her, daß sie so lange braucht?« meinte Nkata mit einem Blick auf seine Uhr. »Aus Southend-on-Sea?« – wurde die Tür geöffnet, und eine Zwölfjährige in einem Minikleidchen à la Mary Quant stand vor ihnen.
»Vi Nevin«, stellte sich die Kleine vor. »Entschuldigen Sie, daß es so lange gedauert hat. Ich hatte gerade ein Bad genommen und mußte mir erst etwas überziehen. Würden Sie mir bitte Ihre Ausweise zeigen?«
Die Stimme war die der Frau, die sie über die Sprechanlage gehört hatten. Aus dem Mund dieses Elfchens kommend, wirkte sie äußerst irritierend, so als ob irgendwo im Hintergrund eine Bauchrednerin lauerte, die sich einen Jux daraus machte, diesem vorpubertären Kind ihre Stimme zu leihen. Barbara ertappte sich dabei, daß sie um den Türpfosten herum spähte, um zu sehen, ob sich dort jemand versteckt hielt. Vi Nevins Miene verriet, daß sie solche Reaktionen gewöhnt war.
Nachdem sie die beiden Ausweise geprüft hatte, reichte sie sie zurück und sagte: »In Ordnung. Was kann ich also für Sie tun?«
Als sie ihr erklärten, daß ihre Wohnung von einer Studentin bei ihrem Umzug aus Islington als Nachsendeadresse angegeben worden war, meinte sie: »Daran ist ja wohl nichts Gesetzwidriges, oder? Das ist doch sehr vernünftig.«
Dann sei sie also mit Nicola Maiden bekannt, fragte Nkata.
»Es ist nicht meine Gewohnheit, mit wildfremden Menschen zusammenzuziehen«, versetzte sie und fügte mit einem Blick von Nkata zu Barbara hinzu: »Aber Nikki ist nicht hier. Sie ist seit Wochen verreist. Sie ist oben in Derbyshire und kommt erst nächsten Mittwoch abend zurück.«
Barbara merkte Nkata deutlich an, daß ihm überhaupt nicht danach war, wieder einmal den Überbringer schlimmer Nachricht zu spielen. Sie zeigte Erbarmen und fragte: »Können wir uns hier irgendwo in Ruhe unterhalten, Miss Nevin?«
Der Blick, den Vi Nevin ihr zuwarf, besagte klar, daß sie aus der einfachen Frage mehr heraushörte. »Warum? Haben Sie eine richterliche Verfügung oder so etwas? Ich kenne meine Rechte.«
Barbara seufzte innerlich. Die neuesten Enthüllungen über polizeiliche Übergriffe hatten das öffentliche Vertrauen stark erschüttert. »Oh, das glaube ich,« erwiderte sie. »Aber wir sind nicht wegen einer Hausdurchsuchung hier. Wir möchten uns lediglich mit Ihnen über Nicola Maiden unterhalten.«
»Wieso? Wo ist sie denn? Was hat sie getan?« »Dürfen wir reinkommen?«
»Wenn Sie mir sagen, was Sie wollen.«
Barbara tauschte einen Blick mit Nkata. Es würde ihnen nichts anderes übrigbleiben, als der jungen Frau zwischen Tür und Angel die erschreckende Mitteilung zu machen.
»Sie ist tot«, erklärte Barbara. »Sie ist vor
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