Undank Ist Der Väter Lohn.
drei Tagen im Peak District umgekommen. Dürfen wir jetzt hereinkommen, oder sollen wir uns weiter hier draußen auf der Straße unterhalten?«
Vi Nevin starrte sie an. Sie schien fassungslos. »Tot?« wiederholte sie. »Nikki ist tot? Aber das ist unmöglich. Ich habe am Dienstag morgen noch mit ihr gesprochen. Sie wollte eine Wanderung machen. Sie ist nicht tot. Das ist ausgeschlossen.«
Sie blickte ihnen forschend ins Gesicht, als suchte sie nach irgendeinem Hinweis darauf, daß es sich um einen Scherz oder eine Lüge handelte. Dann trat sie von der Tür zurück und sagte gepreßt: »Bitte kommen Sie rein.«
Sie führte sie eine Treppe hinauf zu einer offenstehenden Tür in der ersten Etage und weiter in ein L-förmiges Wohnzimmer mit Balkon. Unten war ein kleiner Garten mit einem Springbrunnen, und die spätnachmittäglichen Schatten einer Hainbuche fielen auf eine gepflasterte Terrasse.
Auf einem Barwagen aus Chrom und Glas an einer Wand standen mindestens ein Dutzend Flaschen mit verschiedenen alkoholischen Getränken. Vi Nevin griff nach einer angebrochenen Flasche Glenlivet und schenkte sich ein Glas ein. Sie trank den Whisky pur, und Barbaras letzte Zweifel an ihrem Alter schwanden, als sie sah, wie sie den Whisky hinunterkippte.
Während Vi Nevin sich bemühte, ihre Fassung wiederzufinden, versuchte Barbara, sich ein Bild von der Wohnsituation zu machen. In der ersten Etage der Maisonettewohnung befanden sich das Wohnzimmer, die Küche und eine Toilette. Die Schlafzimmer waren offensichtlich ein Stockwerk höher, über eine Treppe zu erreichen, die sich an der Wand nach oben schwang. Von ihrem Standort gleich neben der Tür konnte sie zum oberen Treppenabsatz und in die Küche sehen. Diese war mit allem modernen Komfort eingerichtet: Kühlschrank mit Eiszerkleinerer, Mikrowellenherd, Espressomaschine, blitzende Kupfertöpfe und -pfannen. Die Arbeitsplatten waren aus Granit, die Schränke und der Boden aus gebleichtem Eichenholz. Nicht übel, dachte Barbara und fragte sich, wer das alles bezahlte.
Sie sah Nkata an. Er war gerade dabei, die niedrigen buttergelben Sofas mit der üppigen grünen und goldfarbenen Kissenpracht zu mustern, den ausladenden Farn am Fenster, das große abstrakte Ölgemälde über dem offenen Kamin. Ein bißchen was anderes als die Loughborough Siedlung, schien seine Miene zu sagen. Sein Blick schweifte zu Barbara. Sie erwiderte in Lippensprache: schnieke, was?, und er grinste.
Vi Nevin, die inzwischen ihren Whisky geschluckt hatte, stand vollkommen reglos da, bis sie sich schließlich zu ihnen umwandte. Sie strich sich das blonde, schulterlange Haar aus dem Gesicht und schob es mit einem Reif zurück, mit dem sie aussah wie Alice im Wunderland.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Niemand hat mich angerufen. Ich habe nicht ferngesehen. Ich hatte keine Ahnung. Ich habe am Dienstag morgen noch mit ihr gesprochen und ... um Gottes willen, was ist denn nur passiert?«
Sie sagten ihr zwei Dinge: daß Nicola Maiden einen Schädelbruch erlitten hatte; daß ihr Tod kein Unfall gewesen war.
Vi Nevin schwieg, den Blick auf Barbara und Nkata gerichtet. Sie rührte sich nicht, aber ein Schauder überlief sie.
»Nicola ist ermordet worden«, bemerkte Barbara schließlich, als Vi noch immer nichts sagte. »Sie ist mit einem Steinbrocken erschlagen worden.«
Vis Hand krampfte sich um den Saum ihres Minikleides. Sie sagte: »Nehmen Sie Platz«, und wies auf die Sofas. Sie selbst hockte sich stocksteif auf die Kante eines tiefen Sessels ihnen gegenüber, Knie und Knöchel aneinandergepreßt wie ein wohlerzogenes Schulmädchen. Noch immer stellte sie keine Fragen. Sie war offensichtlich wie betäubt von der Nachricht, aber es war ebenso offensichtlich, daß sie auf etwas wartete.
Worauf? fragte sich Barbara. Was ging hier vor? »Wir bearbeiten die Londoner Seite des Falls«, erklärte sie Vi. »Unser Kollege – Inspector Lynley – ist in Derbyshire.«
»Die Londoner Seite«, murmelte Vi.
»Außer Nicola Maiden ist noch ein junger Mann getötet worden.« Nkata zog sein ledernes Dienstbuch aus der Tasche und nahm seinen Drehbleistift zur Hand. »Er heißt Terry Cole und hat in Battersea gewohnt. Kennen Sie ihn?«
»Terry Cole?« Vi schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne ihn nicht.«
»Er war Künstler. Hat Objekte gemacht. Er hatte ein Atelier in den Eisenbahnarkaden bei der Portslade Road. Zusammen mit einer Frau namens Cilla Thompson, mit der er auch die Wohnung geteilt hat«,
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