Undank Ist Der Väter Lohn.
Tür sah, und scheuchte sie mit einer Handbewegung weg.
»Geschlossen«, rief er laut, und selbst durch das dicke Türglas konnte Barbara den typischen Akzent des gebürtigen Nordlondoners hören.
Sie holte ihren Dienstausweis heraus und drückte ihn gegen die Scheibe. »Polizei«, rief sie zurück. »Ich hätte Sie gern einen Moment gesprochen.«
Er zögerte und warf einen Blick auf die große Messinguhr, die links von der Tür über einer Reihe von Prominentenfotos an der Wand hing. »Ich hab jetzt Mittagspause«, verkündete er.
»Um so besser«, antwortete Barbara. »Ich nämlich auch. Kommen Sie raus. Ich lade Sie ein, wenn Sie wollen.«
»Worum geht’s denn?« Er näherte sich der Tür, blieb aber in sicherem Abstand von ihr stehen.
»Mord«, rief Barbara und schwenkte bedeutungsvoll ihren Ausweis.
Er bequemte sich endlich, einen Riesenschlüsselbund herauszuziehen und in aller Gemächlichkeit die Tür aufzusperren.
Sobald Barbara im Gebäude war, kam sie ohne Umschweife zur Sache. Sie stelle Ermittlungen in Zusammenhang mit der Ermordung eines jungen Londoners namens Terence Cole in Derbyshire an, erklärte sie dem Wachmann, der seinem Namensschild zufolge Dick Long hieß. Man habe diese Adresse unter Coles Sachen gefunden, und sie versuche festzustellen, was der junge Mann hier zu tun gehabt habe.
»Cole, sagen Sie?« wiederholte der Wachmann. »Terence? Nee, hier war niemand mit dem Namen. Nicht daß ich wüßte. Was nicht allzuviel heißt, weil ich nur an den Wochenenden hier arbeite. Normalerweise bin ich Wachmann bei der BBC. Die Bezahlung ist überall gleich schlecht, aber ich kann mir wenigstens ein Dach überm Kopf leisten.« Er fuhr sich mit einem Finger in die Nase und inspizierte ihn, um festzustellen, ob er irgend etwas von Interesse gefunden hätte.
»Wie gesagt, wir haben diese Adresse bei Terry Coles Sachen gefunden«, erklärte Barbara. »Es könnte sein, daß er sich als Künstler ausgegeben hat, als er hier war. Bildhauer oder so was. Sagt Ihnen das was?«
»Hier kauft keiner Kunst. Sie sollten’s lieber mal bei einer von diesen hochgestochenen Galerien versuchen, Mädchen. Drüben in Mayfair oder so. Obwohl’s ja hier drinnen wirklich ein bißchen nach Galerie aussieht, stimmt’s? Was meinen Sie?«
Sie hatte weder Zeit noch Lust, sich mit ihm über Dekorationsfragen zu unterhalten. »Wäre es möglich, daß er ein Treffen mit jemandem von der Firma Triton hatte?«
»Oder mit jemandem von einer der anderen Firmen hier«, sagte Dick.
»Es gibt hier außer Triton noch andere Gesellschaften?« fragte sie.
»Na klar. Triton ist nur eine von der ganzen Korona. Denen ihr Name steht über der Tür, weil sie hier die größten Räume haben. Die andern stört das nicht, die zahlen dafür weniger Miete.« Dick wies mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf die Aufzüge und führte Barbara zu einer Tafel, die zwischen zwei der Türen angebracht war: Namen, Abteilungen, Firmenbezeichnungen. Film, Fernsehen und Theater waren hier vertreten. Es würde Stunden – vielleicht sogar Tage – in Anspruch nehmen, mit jedem zu sprechen, dessen Name hier aufgeführt war. Und mit allen anderen, deren Namen nicht aufgelistet waren, weil sie nur Nebenrollen spielten.
Als Barbara sich von den Aufzügen abwandte, fiel ihr Blick auf die Anmeldung. Sie wußte, was ein solcher Tisch im Yard bedeutete, wo Sicherheit oberstes Gebot war, und fragte sich, ob das hier auch so war. »Dick«, sagte sie, »müssen sich Besucher hier eintragen?«
»O ja. Jeder ohne Ausnahme.«
Ausgezeichnet. »Kann ich mir das Buch mal ansehen?«
»Das geht nicht, Miss – äh – Constable. Tut mir leid.«
»Ich bin von der Polizei, Dick. Es ist wichtig.«
»Ich weiß. Aber am Wochenende ist hier alles abgesperrt. Sie können’s ja mal bei den Schreibtischschubladen versuchen.«
Das ließ Barbara sich nicht zweimal sagen. Sie trat hinter den Empfangstisch und zog an den Schubladen, aber es war umsonst. Verdammt, dachte sie. Sie wollte nicht bis zum Montag warten müssen. Sie brannte darauf, einem Schuldigen die Handschellen anzulegen und ihn Lynley mit einem triumphierenden »Na bitte, was habe ich gesagt?« vorzuführen. Von ihr zu verlangen, sich fast achtundvierzig Stunden in Geduld zu fassen, um dem Mörder von Derbyshire vielleicht einen Schritt näher zu kommen, war ähnlich schlimm, als hielte man eine Meute Hunde zurück, die den Fuchs bereits gesichtet hatte.
Es gab nur eine Alternative. Sie gefiel ihr zwar
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