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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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wie betäubt.
    »Das hat London aus dir gemacht. Du mußt wieder nach Hause kommen, Nick. Du mußt Freunde um dich haben. Du brauchst Hilfe.«
    »Hilfe?« Sie sah ihn verständnislos an.
    »Aber das ist doch ganz offensichtlich. Du bist krank. Das kann doch einfach nicht normal sein, daß du dich Nacht für Nacht verkaufst.«
    »Mehrmals die Nacht im allgemeinen. Sechsmal im Höchstfall, wenn ich bis zum Morgen arbeite.«
    Er preßte beide Hände an seine Schläfen. »Großer Gott, Nick ... du mußt mit jemandem reden. Bitte laß mich dir helfen. Ich suche dir einen Arzt, einen Psychiater. Ich sage auch keinem Menschen, warum. Das bleibt unser Geheimnis. Und wenn du wieder gesund bist –«
    »Julian!« Sie zog seine Hände herunter. »Mir fehlt nichts. Wenn ich mir einbilden würde, ich hätte eine Beziehung zu diesen Männern, dann wäre das krank. Wenn ich mir einbildete, ich wäre auf dem Weg zur wahren Liebe, dann würde wirklich etwas mit mir nicht stimmen. Wenn ich versuchte, mich für irgendein Unrecht zu rächen oder einem anderen Menschen weh zu tun, oder wenn ich in einer Phantasiewelt lebte, dann gehörte ich auf der Stelle in die Klapsmühle. Aber so ist es nicht. Ich lebe so, weil es mir Spaß macht, weil ich gut bezahlt werde, weil ich Männern etwas zu bieten habe, und wenn ich persönlich es auch absurd finde, daß sie dafür bezahlen wollen, so bin ich doch gern bereit –«
    In dem Moment hatte er zugeschlagen. Es war unverzeihlich, aber er hatte zugeschlagen, weil er nicht wußte, wie er sie sonst zum Schweigen bringen sollte. Er hatte ihr einen Fausthieb ins Gesicht versetzt, so daß ihr Kopf hart gegen das Fenster hinter ihr geprallt war.
    Danach starrten sie einander schweigend an, sie die Fingerspitzen an der Stelle, wo seine Fingerknöchel ihr Gesicht getroffen hatten, er die linke Hand um die geballte Faust geschlossen und in den Ohren ein hohes lautes Geräusch, wie das Kreischen von schlitternden Autoreifen. Es gab nichts zu sagen. Kein einziges Wort, um zu entschuldigen, was er getan hatte; um zu entschuldigen, was sie ihnen beiden mit ihrer Entscheidung für ein solches Leben antat. Dennoch hatte er es versucht.
    »Woher ist das plötzlich gekommen?« hatte er heiser gefragt.
    »Denn es muß irgendwoher gekommen sein, Nick. Normale Menschen leben nicht so.«
    »Irgendein finsteres Familiengeheimnis, meinst du?« hatte sie leichthin erwidert, die Finger immer noch an ihrer Wange. Ihre Stimme war wie immer, aber ihr Ausdruck hatte sich verändert, als sähe sie ihn plötzlich mit anderen Augen. Als Feind, hatte er gedacht. Und eine tiefe Verzweiflung hatte ihn überwältigt, weil er sie so sehr liebte. »Nein, Jule. Ich habe keine bequemen Entschuldigungen. Ich kann keinem die Schuld geben. Keinen anklagen. Es war einfach eine Verkettung von Ereignissen, nur ein paar Erfahrungen, die zu anderen Erfahrungen führten. Genauso wie ich es dir erzählt habe. Erst Hosteß, dann ein bißchen fummeln, dann ...« Sie lächelte. »Und dann weiter.«
    In diesem Moment erkannte er, wer sie wirklich war. »Du mußt uns alle verachten. Uns Männer. Was wir wollen. Was wir tun.«
    Sie hatte nach seiner Hand gegriffen. Sie war immer noch zur Faust geballt, und sie löste seine Finger behutsam. Sie hob seine Hand an ihre Lippen und küßte die Finger, die sie geschlagen hatten. »Du bist, was du bist«, sagte sie. »Und für mich gilt das gleiche, Julian.«
    Aber er konnte und wollte nicht akzeptieren, daß es so einfach war. Er wütete gegen diese Erklärung, wütete selbst jetzt noch dagegen. Und er wütete gegen Nicola. Er war entschlossen, sie zu ändern, koste es, was es wolle. Sie würde zur Vernunft kommen. Sie würde Hilfe bekommen, wenn es nicht anders ging.
    Und nun war sie tot. Nur gerecht, würden manche sagen, wenn man bedenkt, was sie aus ihrem Leben gemacht hatte.
    Julian fühlte sich selbst wie tot, während er Stück für Stück seine Rettungsausrüstung in den Rucksack packte. Erinnerungen stürmten auf ihn ein, und er war bereit, so ziemlich alles zu tun, um die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen.
    Ablenkung nahte in Gestalt seines Vaters, der den Flur in der ersten Etage entlangtrottete, als Julian gerade den Rucksack in der alten Truhe verstaute. In der einen Hand hielt Jeremy Brittan ein Glas, was nicht weiter überraschend war, in der anderen mehrere Broschüren. »Ah, mein Junge, hier bist du«, sagte er. »Hast du an diesem schönen Tag einen Moment Zeit für deinen

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