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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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konnte, eine Werkbank, auf der die benötigten Werkzeuge so aufgereiht waren, daß er mühelos von der Rundsäge, die die Kerbe in den Pfeilschaft einschnitt, zum Befiederungsgerät, wo die Nock und die Steuerfedern angebracht wurden, gelangen konnte. Die Pfeilspitzen wurden mit einem Kunstkleber aufgesetzt. Und sie waren, wie er zuvor schon gesagt hatte, von unterschiedlicher Art, je nach Verwendungszweck des Pfeils.
    »Es gibt Bogenschützen, die ihre Pfeile selber herstellen«, bemerkte er abschließend. »Aber da das eine Menge Arbeit ist – ich denke, Sie können das selbst sehen –, suchen sich die meisten einen Pfeilemacher, dem sie vertrauen, und kaufen ihre Pfeile bei ihm. Er kann sie auf jede gewünschte Weise kennzeichnen – in vernünftigen Grenzen natürlich –, wenn sie ihm sagen, was für ein Kennzeichen sie haben wollen.«
    »Ein Kennzeichen?« fragte Barbara.
    »Für die Wettbewerbe«, erklärte Harley. »Sonst wird der Langbogen ja heute kaum noch gebraucht.«
    Es gab, fügte er erläuternd hinzu, zwei Arten von Wettbewerben für Langbogenschützen: das Turnierbogenschießen und das Feldbogenschießen. Beim ersteren wurde aus unterschiedlichen Entfernungen auf traditionelle Zielscheiben geschossen. Beim letzteren wurde entweder in einem Wald oder an einem Hügel mit den Pfeilen auf Tierbilder geschossen. In beiden Fällen jedoch konnte der Sieger nur anhand der unterschiedlichen Kennzeichnungen der abgeschossenen Pfeile festgestellt werden. Und jeder Turnierbogenschütze in England sorgte natürlich dafür, daß seine Pfeile sich von den Pfeilen aller anderen Wettbewerbsteilnehmer klar unterscheiden ließen.
    »Wie ließe sich sonst feststellen, welcher Pfeil das Ziel getroffen hat?«, meinte Harley.
    »Natürlich«, sagte Barbara. »Ganz klar.«
    Sie hatte den Obduktionsbericht über Terry Cole gelesen. Sie wußte aus ihrem Gespräch mit St. James, daß neben dem Messer und dem Stein, die, wie sie bereits wußten, als Waffen gegen die beiden Opfer verwendet worden waren, eine dritte Waffe gesucht wurde. Jetzt, da diese dritte Waffe so gut wie identifiziert war, begann ihr der Ablauf des Verbrechens klarzuwerden.
    »Mr. Harley«, sagte sie, »wie schnell kann ein guter Bogenschütze – sagen wir mal, mit einer Erfahrung von zehn oder mehr Jahren – in ununterbrochener Folge auf ein Ziel schießen? Mit einem Langbogen, meine ich.«
    Er zupfte nachdenklich an seiner Unterlippe, während er sich die Frage durch den Kopf gehen ließ. »Er wird pro Pfeil circa zehn Sekunden brauchen, schätze ich.«
    »So lange dauert es doch?«
    »Kommen Sie, ich zeig es Ihnen.«
    Sie glaubte, er wolle es ihr selbst demonstrieren. Aber er holte vom Ausstellungsregal einen Köcher, steckte sechs Pfeile hinein und bedeutete Barbara, zu ihm zu kommen.
    »Rechts- oder Linkshänderin?« fragte er. »Rechtshänderin.«
    »Okay. Drehen Sie sich um.«
    Sie kam sich etwas albern vor, als sie sich von ihm den Köcher überstreifen und den Gurt festziehen ließ. »Nehmen Sie an, der Bogen läge in Ihrer linken Hand«, instruierte er, nachdem er den Köcher befestigt hatte. »Greifen Sie jetzt nach hinten, um einen Pfeil herauszuziehen. Nur einen.« Als sie ihn in der Hand hatte – nach einigem ungeschickten Herumtasten –, erklärte er ihr, sie müsse jetzt den Pfeil auf die Dacronsehne des Bogens auflegen, dann die Sehne zurückziehen und ihr Ziel anvisieren.
    »Es ist anders als bei einer Handfeuerwaffe«, bemerkte er. »Sie müssen nach jedem Schuß neu auflegen und neu zielen. Ein guter Bogenschütze schafft das in knapp zehn Sekunden. Aber jemand wie Sie – nichts für ungut –«
    Barbara lachte. »Mir werden Sie wohl zwanzig Minuten geben müssen.«
    Sie beobachtete sich in dem Spiegel an der Tür, durch die Jason Harley zuvor in den Laden gerollt war, und übte das Ziehen der Pfeile aus dem Köcher. Sie stellte sich vor, sie hielte einen gespannten Bogen in der Hand, und vor ihr befände sich ein Zielobjekt: keine Zielscheibe, kein Tierbild, sondern ein lebender Mensch. Genauer gesagt, zwei Menschen, die an einem Feuer saßen, der einzigen Lichtquelle an einem dunklen Abend.
    Er hat nicht auf Nicola Maiden geschossen, weil er es gar nicht auf sie abgesehen hatte, dachte sie. Den Jungen wollte er aus dem Weg räumen, und da er keine andere Waffe bei sich hatte, mußte er sich mit dem begnügen, was er hatte, und hoffen, daß gleich der erste Schuß Terry Cole töten würde. Denn er wußte, daß ihm in Anwesenheit

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