Undank Ist Der Väter Lohn.
nicht wissen. Aber er zwang sich weiterzugehen, in den Steinkreis hinein. Und in der Mitte des Steinkreises fand er sie.
Nan Maiden hockte in halb sitzender, halb kniender Haltung auf dem Boden, den Rücken Lynley zugekehrt. Andy Maiden lag vor ihr, das eine Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, Kopf und Schultern in den Schoß seiner Frau gebettet.
Lynleys Verstand sagte: Daher kommt das ganze Blut, aus seinem Kopf und seinen Schultern. Aber Lynleys Herz rief: Großer Gott, nein, und er wünschte, daß das, was er sah, als er um die beiden Gestalten herumging, nur ein Traum wäre. Ein Alptraum, der wie alle Träume aus dem aufgestiegen war, was tief im Unterbewußtsein liegt und nach eingehender Prüfung verlangt, wenn man die größte Angst hat.
Er sagte: »Mrs. Maiden. Nancy.«
Nan hob den Kopf. Sie hatte sich über Andy gebeugt, und ihre Wangen und ihre Stirn waren mit seinem Blut befleckt. Sie weinte nicht, und vielleicht hatte sie auch überhaupt nicht geweint, da sie längst über Tränen hinaus war. Sie sagte: »Er glaubte, er hätte versagt. Und als er einsehen mußte, daß er nichts wiedergutmachen konnte ...« Ihre Hände spannten sich fester um den Körper ihres Mannes, als sie versuchte, die klaffende Wunde in seinem Hals zu schließen, aus der sein Blut geflossen war, seine Kleider zu durchtränkt und eine Lache unter ihm gebildet hatte. »Er mußte ... etwas tun.«
Lynley sah blutbespritztes Papier zerknittert auf dem Boden neben ihr liegen. Er hob es auf und las die Worte, die er erwartet hatte: Andy Maidens falsches Geständnis, die Tochter ermordet zu haben, die er so innig geliebt hatte.
»Ich wollte es nicht glauben«, sagte Nan Maiden, den Blick auf das fahle Gesicht ihres Mannes geheftet. Sie strich über sein Haar.
»Ich konnte es nicht glauben und weiter mit mir selbst leben.
Und weiter mit ihm leben. Ich merkte, daß ihn irgend etwas schrecklich belastete, als diese nervösen Störungen eintraten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß er ihr je etwas antun würde. Wie konnte ich denn so etwas auch nur denken? Selbst jetzt. Wie? Sagen Sie es mir! Wie?«
»Mrs. Maiden ...« Was konnte er schon sagen? Sie stand im Augenblick zu stark unter Schock, um das, was hinter dem Handeln ihres Mannes stand, in seinem ganzen Umfang zu begreifen. Im Moment hatte sie reichlich genug mit ihrem Entsetzen über den vermeintlichen Mord ihres Mannes an ihrer gemeinsamen Tochter zu tun.
Lynley kauerte neben Nan Maiden nieder und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Mrs. Maiden«, sagte er, »kommen Sie fort von hier. Ich habe mein Handy im Wagen gelassen, und wir müssen die Polizei rufen.«
»Er ist die Polizei«, sagte sie. »Er hat seine Arbeit geliebt. Er konnte sie nicht mehr machen, weil seine Nerven nicht mehr mitgemacht haben.«
»Ja«, antwortete Lynley. »Ja, das habe ich gehört.«
»Und daher wußte ich es, verstehen Sie? Aber ich konnte mir trotzdem nicht sicher sein. Ich konnte niemals sicher sein, darum wollte ich nichts sagen. Ich konnte es nicht riskieren.«
»Natürlich.« Lynley versuchte, sie hochzuheben. »Mrs. Maiden, bitte kommen Sie ...«
»Ich dachte, wenn ich ihn nur davor bewahren könnte, es je zu erfahren ... Das war es, was ich wollte. Aber nun zeigt sich, daß er längst über alles Bescheid gewußt hat, deshalb hätten wir ebensogut offen darüber sprechen können, Andy und ich. Und wenn wir darüber gesprochen hätten ... Begreifen Sie, was das heißt? Wenn wir miteinander gesprochen hätten, hätte ich ihn aufhalten können. Ich weiß es. Ich fand es entsetzlich, was sie tat – zuerst dachte ich, es würde mich umbringen –, und wenn ich gewußt hätte, daß sie ihm gesagt hatte, was sie trieb ...« Nan neigte sich wieder zu ihrem Mann hinunter. »Wir hätten einander gehabt. Wir hätten miteinander reden können. Ich hätte die richtigen Worte gefunden, um ihn aufzuhalten.«
Lynleys Hand fiel von ihrer Schulter herab. Er hatte ihr die ganze Zeit zugehört, aber plötzlich wurde er sich bewußt, daß er nichts gehört hatte. Andys Anblick – die klaffende Wunde an der Kehle, von eigener Hand aufgeschlitzt – hatte alle seine Sinne außer dem Sehvermögen betäubt. Aber jetzt endlich hörte er, was Nan Maiden sagte. Und als er es hörte, begriff er.
»Sie haben alles über sie gewußt«, sagte er. »Sie haben es gewußt.«
Und ein gähnender Abgrund der Schuld tat sich unter ihm auf, als er erkannte, welche Rolle er selbst bei Andy Maidens sinnlosem
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