Undank Ist Der Väter Lohn.
und gesagt hatten, mußte ihm das bestätigt haben. Sollte er wegen des Mordes an seiner Tochter verhaftet werden – sollte er auch nur eingehender über die Ermordung seiner Tochter vernommen werden –, so würde die Wahrheit über Nicolas Leben in London ans Licht kommen. Und er hatte bereits bewiesen, daß er bereit war, bis zum Äußersten zu gehen, um die Wahrheit über dieses Leben geheimzuhalten.
Lynley raste nach Sparrowpit und weiter die Landstraße hinunter zu dem weißen Eisentor, hinter dem die riesige Fläche des Calder Moor lag. Ein Land Rover stand am Ende der kurzen, schmalen Straße, wo der Weg ins Moor begann. Direkt dahinter parkte ein klappriger alter Morris.
Im Laufschritt eilte Lynley den matschigen, holprigen Trampelpfad entlang. Er wollte nicht darüber nachdenken, wie weit Andy gegangen sein könnte, um zu verhindern, daß seine Frau die Wahrheit über ihre Tochter erfuhr, darum konzentrierte er sich auf jene Erinnerung, die ihn seit mehr als zehn Jahren mit diesem Mann verband.
Eine Kanone zu tragen, ist nicht weiter schwer, Jungchen, hatte Dennis Hextell zu ihm gesagt. Den Mund aufzumachen und nicht daherzureden, als wär man mit ’nem goldenen Löffel zwischen den Zähnen geboren, ist was ganz andres. Hextell hatte ihn verachtet und geduldig darauf gewartet, daß er sich bei seiner Arbeit als Undercoveragent unfähig zeigen würde, irgend etwas anderes überzeugend darzustellen, als das, was er war: der privilegierte Sohn eines privilegierten Sohns. Andy Maiden dagegen hatte gesagt: Gib ihm eine Chance, Dan. Und als er diese Chance dann bekommen hatte, daß ein ganzer LKW voll Semtex – als Köder gedacht – von genau den Leuten entführt worden war, die man hatte einfangen wollen, war noch in derselben Stunde die Meldung »Kein Amerikaner gebraucht das Wort ›torch‹, wenn er Taschenlampe meint. Jack«, in der Met eingegangen – Illustration dafür, daß ein einziges falsches Wort Menschenleben kosten und Karrieren zerstören kann. Daß es Lynleys Karriere nicht zerstört hatte, hatte er Andy Maiden zu verdanken. Er hatte den niedergeschmetterten jungen Beamten nach dem nachfolgenden Bombenanschlag in Belfast beiseite genommen und gesagt: »Kommen Sie herein, Tommy. Sprechen Sie mit mir. Reden Sie!«
Und das hatte Lynley schließlich getan. Er hatte sich seine Schuldgefühle, seine Verwirrung und seinen Schmerz in einer Weise von der Seele geredet, die ihm letztlich gezeigt hatte, wie dringend er eine Vaterfigur in seinem Leben brauchte.
Andy Maiden hatte diese Rolle übernommen, ohne je danach zu fragen, warum Lynley das so verzweifelt gebraucht hatte. Er hatte gesagt, »Hören Sie zu, mein Junge«, und Lynley hatte zugehört, zum Teil, weil der andere sein Vorgesetzter war, vor allem jedoch, weil niemand je zuvor ihn mit »mein Junge« angesprochen hatte. Lynley kam aus einer Welt, in der die Leute ihren Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie kannten und sich im allgemeinen danach richteten oder die Konsequenzen zu spüren bekamen, wenn sie es nicht taten. Aber Andy Maiden war keiner von diesen Leuten. »Sie haben nicht das Zeug für die SO10«, hatte Andy ihm erklärt. »Was Sie durchgemacht haben, beweist das, Tommy. Aber Sie mußten es durchmachen, um es zu erkennen, verstehen Sie? Lernen ist kein Verbrechen. Ein Verbrechen ist nur, wenn man sich weigert, das Gelernte anzuwenden.«
An diese Lebensphilosophie Andy Maidens mußte Lynley jetzt denken. Andy hatte sie sein ganzes Berufsleben hindurch angewandt, und in den letzten Tagen ihrer erneuerten Bekanntschaft war Lynley nichts aufgefallen, was ihm jetzt das beruhigende Gefühl hätte geben können, daß Andy dieser Philosophie nicht auch heute folgen würde.
Die Angst trieb ihn nach Nine Sisters Henge. Als er dort ankam, war alles still bis auf den Wind, der in gewaltigen Böen wehte, um zwischendurch immer wieder für ein paar Sekunden abzuflauen. Er kam von Osten von der Irischen See her und verhieß neue Regenschauer in den kommenden Stunden.
Lynley näherte sich dem Wäldchen und ging hinein. Der Boden war noch feucht vom morgendlichen Regen, und das von den Birken gefallene Laub bildete ein schwammiges Polster unter seinen Füßen. Er folgte dem Pfad der von dem hohen Wächterstein in die Mitte des Hains führte. Hier im Windschatten war nur das Rascheln der Blätter zu hören und das Geräusch seines vor Anstrengung keuchenden Atems.
Im letzten Moment zögerte er. Er wollte nicht sehen, und er wollte
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