Undank Ist Der Väter Lohn.
sie. Sie hat über alles gesprochen. Über alles! Und immer die Wahrheit.« Und mit tiefernstem Blick zu ihrem Mann: »Andy?«
Mit einiger Anstrengung hob er den Blick von den Briefen. Sein Gesicht, das schon vorher bleich gewesen war, schien jetzt völlig blutleer. Er sagte: »Ich möchte es nicht denken, aber es ist das wahrscheinlichste, wenn ihr tatsächlich jemand gefolgt ist ... wenn nicht schon jemand bei ihr war ... wenn der Mörder nicht nur zufällig auf sie gestoßen ist und sie und den Jungen nur des Kitzels wegen getötet hat.«
»Wovon sprechen Sie?« fragte Lynley.
»Von der SO10.« Es schien ihm ungeheuer schwerzufallen, die Worte auszusprechen. »Es waren so viele Fälle im Laufe der Jahre, soviel übles Pack, das wir hinter Gitter gebracht haben – Mörder, Drogendealer, Bosse des organisierten Verbrechens. Suchen Sie sich’s aus, ich hatte mit allen zu tun.«
»Andy! Nein«, protestierte seine Frau, als sie begriff, worauf er hinauswollte. »Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Wie leicht kann einer, der auf Bewährung draußen ist, uns aufgespürt und beobachtet haben, um sich mit unseren Gewohnheiten vertraut zu machen ...« Er wandte sich Nan zu. »Siehst du nicht, daß es so gewesen sein kann? Jemand, der sich an mir rächen wollte, Nancy, und Nick getötet hat, weil er genau wußte, daß er damit auch mich töten würde – mir das Leben zur Hölle machen würde.«
Lynley sagte: »Ja, ausschließen können wir diese Möglichkeit nicht. Denn wenn Ihre Tochter keine Feinde hatte, wie Sie sagen, bleibt die Frage: Wer hatte welche? Wenn jemand, den Sie zur Strecke gebracht haben, zur Zeit auf Bewährung frei ist, Andy, dann brauchen wir den Namen.«
»Ach Gott, da kommen Dutzende in Frage.«
»Wir können uns im Yard Ihre alten Akten vornehmen, aber Sie könnten uns mit gezielten Hinweisen helfen. Wenn Ihnen ein bestimmter Fall im Gedächtnis geblieben ist, könnten Sie uns eine Menge Arbeit ersparen, indem Sie uns die Namen der Beteiligten nennen.«
»Ich habe meine Tagebücher.«
»Tagebücher?« fragte Hanken.
»Ich hatte früher einmal vor –« Maiden schüttelte den Kopf, als fände er die Vorstellung jetzt absurd. »Ich dachte daran zu schreiben, wenn ich im Ruhestand bin. Meine Erinnerungen. Reine Eitelkeit. Aber dann war ich so mit dem Hotel beschäftigt, daß ich nie dazu gekommen bin. Aber die Tagebücher habe ich noch. Wenn ich sie durchsehe, stoße ich vielleicht auf einen Namen ...« Er schien ein wenig in sich zusammenzusinken, als drückte ihn die Last der Verantwortung am Tod seiner Tochter nieder.
»Aber das ist doch reine Spekulation«, protestierte Nan Maiden. »Andy. Bitte. Tu dir das nicht an.«
Hanken sagte: »Wir müssen alle Spuren verfolgen. Wenn also –«
»Dann kümmern Sie sich um Julian«, fiel Nan Maiden ihm herausfordernd ins Wort, offenbar, entschlossen, der Polizei zu beweisen, daß der Weg in die Vergangenheit ihres Mannes nicht der einzige war, der erkundet werden sollte.
»Nicht, Nancy!« sagte Maiden.
»Julian?« fragte Lynley.
Julian Britton, erläuterte Nan. Er hatte sich gerade erst mit Nicola verlobt. Sie wolle keinesfalls behaupten, daß er verdächtig sei, aber wenn die Polizei nach Hinweisen suche, dann solle sie unbedingt mit Julian sprechen. Nicola war an dem Abend, bevor sie zu ihrer Wanderung aufgebrochen war, mit ihm zusammen gewesen. Vielleicht hatte sie Julian gegenüber eine Bemerkung gemacht – vielleicht auch irgend etwas getan –, was der Polizei bei ihren Ermittlungen neue Möglichkeiten eröffnen würde.
Ein durchaus vernünftiger Gedanke, dachte Lynley. Er ließ sich von Nan Maiden Julians Namen und Adresse geben.
Hanken schien in Grübeln versunken. Er sprach kein Wort mehr, bis er und Lynley wieder zum Wagen gingen. »Das kann auch alles Schwindel sein.« Er ließ den Motor an, fuhr rückwärts aus der Parklücke heraus und wendete den Wagen. Dann hielt er mit laufendem Motor an und betrachtete nachdenklich das alte viktorianische Haus.
»Was meinen Sie?« fragte Lynley.
»Diese SO10-Geschichte. Dieser Rächer aus der Vergangenheit. Eine praktische Sache, finden Sie nicht?«
»Praktisch für wen?« fragte Lynley. »Haben Sie denn schon einen bestimmten Verdacht?« Er sah Hanken an. »Was genau vermuten Sie, Peter?«
»Kennen Sie White Peak?« fragte Hanken schroff. »Das Gebiet reicht von Buxton bis Ashbourne und von Matlock bis Castleton. Es gibt Hügel und Täler, Moore und tausend
Wanderwege. Das hier –«
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