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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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konnte das nicht länger ertragen. Darum tat sie, was sie immer tat, wenn die Gefühle sie zu überwältigen drohten. Sie arbeitete weiter.
    Sie zwang sich, die Bluse niederzulegen, und kehrte zu der begonnenen Tätigkeit zurück. Sie nahm alle ungewaschenen Kleidungsstücke Nicolas aus der Wäsche, als könnte sie, indem sie den Körpergeruch ihrer Tochter bewahrte, auch die Tatsache ihres Todes leugnen. Sie rollte Söckchen zusammen, faltete Jeans und Pullover. Sie glättete die Falten in jeder Bluse, sie legte Höschen und Büstenhalter zusammen. Am Ende schob sie die Wäschestapel in Plastiktüten aus der Küche. Dann verklebte sie sie sorgfältig und schloß den Geruch ihres Kindes darin ein. Sie nahm die Tüten an sich und ging hinaus.
    Andy, der im oberen Stockwerk war, wanderte rastlos hin und her. Nan hörte seine Schritte über sich, als sie leise durch den dämmrigen Korridor an den Gästezimmern vorbeieilte. Er war in seinem kleinen Arbeitszimmer und ging immer wieder denselben Weg, von dem kleinen Dachfenster zum offenen Kamin, in dem ein Heizstrahler stand, und wieder zurück, unaufhörlich. Er hatte sich in die Mansarde zurückgezogen, nachdem die beiden Polizeibeamten gegangen waren, um, wie er sagte, sofort damit anzufangen, seine Tagebücher durchzusehen und vielleicht auf einen Namen zu stoßen, der ihnen weiterhelfen könnte. Aber wenn er die Tagebücher nicht im Hin- und Hergehen las, dann hatte er mit der Suche noch gar nicht angefangen.
    Nan wußte, warum. Die Suche war sinnlos. Nicolas Tod hatte mit niemandes Vergangenheit zu tun.
    Nein, sie würde nicht daran denken. Nicht hier, nicht jetzt, niemals, wenn es sich vermeiden ließ. Und sie würde auch nicht darüber nachdenken, was es bedeutete – oder nicht –, daß Julian Britton behauptete, mit ihrer Tochter verlobt gewesen zu sein.
    Nan blieb am Fuß der Treppe stehen, die ins obere Stockwerk führte, wo die Familie ihre Räume hatte. Ihre Hände klebten schweißfeucht an den Plastiktüten, die sie an sich gedrückt hielt; ihr Herz schien im Gleichtakt mit den Schritten ihres Mannes zu schlagen. Geh doch zu Bett, flehte sie stumm. Bitte, Andy. Mach endlich das Licht aus und leg dich hin.
    Er brauchte Schlaf. Daß dieses Taubheitsgefühl jetzt wieder auftrat, sagte ihr, wie dringend er ihn brauchte. Das Erscheinen eines Kriminalbeamten von New Scotland Yard hatte seine Ängste nicht etwa beschwichtigt. Sie waren vielmehr gewachsen, nachdem ebendieser Beamte wieder gegangen war. Die Taubheit, die sich zunächst in seinen Händen bemerkbar gemacht hatte, begann jetzt, seine Arme hinaufzukriechen. Ein Nadelstich förderte kein Blut zutage, gerade so, als ob sein ganzer Körper im Begriff wäre abzuschalten. Im Beisein der beiden Polizeibeamten war es ihm noch gelungen, sich zusammenzunehmen, aber sobald sie gegangen waren, war er zusammengebrochen. Das war der Moment gewesen, als er gesagt hatte, er wolle die Tagebücher durchsehen. Wenn er sich vor seiner Frau in sein Arbeitszimmer zurückzog, konnte er das Schlimmste dessen, was er durchmachte, verbergen. Glaubte er jedenfalls.
    Aber Mann und Frau sollten einander in einer solchen Situation stützen können, dachte Nan in der Stille. Was geschieht nur mit uns, daß jeder für sich allein leidet?
    Sie wußte die Antwort auf diese Frage, zumindest was sie selbst betraf. Es gab gewisse Dinge, die einfach nicht ausgesprochen werden durften. Dinge, die, wenn sie ans Tageslicht gezogen wurden, zuviel zerstören konnten.
    Früher an diesem Abend hatte Nan versucht, das Schweigen durch Fürsorge zu überbrücken, aber Andy hatte es abgelehnt, sich von ihr bemuttern zu lassen, und alle ihre Angebote, ihm ein Heizkissen, einen Kognak, eine Tasse Tee, einen Teller heiße Suppe zu bringen, ausgeschlagen. Und als sie seine Finger massieren wollte, um den Kreislauf anzuregen, hatte er ihr seine Hand entzogen. So war letztlich alles, was sie einander vielleicht hätten sagen können, unausgesprochen geblieben.
    Und was jetzt noch sagen? fragte sich Nan. Was jetzt noch sagen, wo Angst und Grauen ein Teil der Emotionen waren, die in ihr tobten wie sich gegenseitig bekämpfende Bataillone eines Heeres, über das der Feldherr die Herrschaft verloren hatte?
    Sie zwang sich, die Treppe hinaufzusteigen, ging aber nicht zu ihrem Mann, sondern in Nicolas Zimmer. In der Dunkelheit tappte sie über den grünen Teppich und öffnete den unter der Dachschräge eingebauten Kleiderschrank. Ihre Augen hatten sich

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