Undead 01 - Weiblich, ledig, untot
noch schaffte es mein Stiefmonster, beleidigt und gequält zu klingen. »Hallo, Dad«, sagte ich. Dann wandte ich mich an sie: »Antonia, das spielt keine Rolle.« Ich hörte hinter meinem Rücken etwas zerbrechen, drehte mich aber nicht um. »Wo sind sie?«
»Elizabeth, ich . . . du . . . du bist . . . du bist nicht du selbst. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Ant, du verräterische Kuh, du weißt gar nicht, wie recht du hast. Sag mir lieber, wo meine Schuhe sind.« Ich lehnte mich noch näher zu ihr hinüber und grinste. Sie erbleichte, und ich hörte, wie ihr der Atem stockte. »Du solltest mal sehen, was den letzten beiden Typen passiert ist, die mich wütend gemacht haben.«
»Sieh mal in ihrem Schlafzimmer nach«, sagte eine leise Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah meine beste Freundin, Jessica Watkins. Sie stand im Flur, die Augen rot gerändert, und trug einen langen, durchsichtigen Rock über schwarzen Leggings und einen schwarzen Rollkragenpullover. Ihr Haar war so straff zu einem Dutt verdrillt, dass ihre Augenbrauen ständiges Erstaunen auszudrücken schienen. Auf Make-up hatte sie verzichtet, um zu zeigen, dass sie in Trauer war. Ich hatte Jessica nicht ohne Mascara gesehen, seitdem wir zusammen die siebte Klasse besucht hatten. »Mrs. Taylor wird keine Zeit verloren haben. Sie hat sie sicher sofort in den Schrank geräumt. Also, tu, was ich sage, und sieh dort nach.« Dann brach sie lautstark in 52
Tränen aus. »Oh, Liz . . . ich dachte, du wärst tot! Wir alle haben das gedacht!«
»Nenn mich nicht Liz. Du weißt, dass ich das hasse. Ich bin tot. Irgendwie«, sagte ich, als sie in meine Arme stürzte.
Bevor ich sie auffing, legte ich eine Hand auf das Gesicht meines Stiefmonsters und gab ihr einen ganz, ganz sanften Stups. Sie flog zur Seite, und ihr Hintern kollidierte mit dem Fernsehsessel, den mein Vater eilig räumte. »Es ist eine lange Geschichte. Du wirst sie mögen.«
Dann weinte meine älteste Freundin in meinen Nacken, während ich sie in das hintere Schlafzimmer zog. Bei einem Blick zurück sah ich meine Stiefmutter benommen ins Leere starren und meinen Vater mit zitternden Händen einen weiteren Drink mixen.
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»Und dann habe ich beschlossen, mir meine Schuhe zu-rückzuholen, und da bin ich. Liebes, kann ich meine Hand für einen Moment zurückbekommen?« Jess hatte sie während meines Berichts die ganze Zeit über fest umklammert gehalten. Jetzt ließ sie mich widerstrebend los. Ich wackelte mit den Fingern, um die Blutzirkulation anzu-regen.
»Ich kann es nicht glauben«, wiederholte sie immer wieder. Dabei schüttelte sie so heftig mit dem Kopf, dass ich schon vom Zuschauen Kopfschmerzen bekam. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
Wir lagen auf den Knien in Ants begehbarem Kleiderschrank. Ich prüfte meine Schuhe sorgfältig auf Fehler und Macken, bevor ich sie in den Rock ihres tausendvierhundert Dollar teuren Ballkleides stopfte. Mein Vater und meine Stiefmutter hielten sich im Wohnzimmer versteckt. Sie waren zu verängstigt, um mit mir zu sprechen. Ich konnte ihre Angst und ihr Unbehagen riechen, sie rochen wie verbranntes Plastik. Aber obwohl ich erleichtert war, mich mit ihnen nicht auseinandersetzen zu müssen, machte es mich traurig.
Und warum konnte ich plötzlich so gut riechen? Ich war die Supernase. Und wieso konnte man Gefühle riechen?
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Ich verließ mich so selbstverständlich auf meine Nase wie auf meine Augen und meine Ohren. Ich war der untote Bluthund! Merkwürdig, aber irgendwie cool.
»Ich kann es einfach nicht glauben«, sagte Jessica erneut.
»Du kannst es nicht glauben? Dann wach du mal als Tote wieder auf. Ich habe fast zwei Tage gebraucht, um mich an die Vorstellung zu gewöhnen. Und ich weiß immer noch nicht, warum und wieso und was ich jetzt tun soll.«
»Das ist mir scheißegal«, sagte Jessica, »du lebst, irgendwie. Du gehst, du sprichst, immerhin. Und das ist alles, was zählt.« Sie schlang erneut ihre Arme um mich. Da sie nicht mehr als neunzig Pfund wog, war mir, als würde ich von einem Bündel Zweige gedrückt. »Liz, ich bin so froh, dass du da bist. Heute war der schrecklichste Tag meines Lebens!«
»Meiner auch. Was für ein Zufall!«, rief ich, und wir kicherten beide. Ich fügte hinzu: »Und nenn mich nicht Liz.
Du weißt doch, dass ich das hasse.«
»Saugst du sonst mein Blut?«
»Ich versuche das aufzuschieben«, gestand ich, nicht ohne einen Blick auf ihren langen, ebenholzfarbenen Hals zu werfen.
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