Undead 01 - Weiblich, ledig, untot
bist.«
Jessicas Stimme überschlug sich bei dem Wort Vampir, und sie unterdrückte ein Kichern. Ich konnte es ihr nicht ver-
übeln. Es klang wirklich drollig. »Du hast sie doch erlebt«, gab ich zu bedenken. »Schienen sie dir offen zu sein für neue Ideen? Papa ist noch nicht einmal herausgekommen, um mir Auf Wiedersehen zu sagen. Und Ant war damit beschäftigt, ihren Schmuck aus dem Mixer zu fischen.«
»Auch wieder wahr.«
Ich hatte Jessica gebeten, die Neuigkeit all denen mitzuteilen, von denen sie glaubte, dass sie es wissen sollten.
Doch sie weigerte sich. »Im Film tauchen Vampire immer unter und bleiben für ihre Freunde und Familien tot.«
»Nun, erstens ist dies kein Film, und zweitens werde ich meine Freunde und meine Familie nicht in dem Glauben lassen, ich wäre tot. Ich muss doch kein Geheimnis daraus machen und für den Rest meines Lebens nachts umherschleichen wie irgendein blutarmer Irrer. Erspar mir das!«
»Was ist mit der Regierung? Der Wissenschaft? Was, wenn sie hinter dir her sind – zu Forschungszwecken?
Deine Sozialversicherungsnummer ist nicht mehr gültig, deine Kreditkarte gesperrt. Du kannst nicht einfach da wie-62
der weitermachen, wo du aufgehört hast, Betsy. Denk doch mal nach.«
Auf diesen Gedanken war ich noch gar nicht gekommen. Wie sollte ich meinen Lebensunterhalt verdienen?
Vielleicht könnte ich die Nachtschicht an der Rezeption eines Motels übernehmen. »Ich habe das noch nicht zu Ende gedacht«, verteidigte ich mich, »ein bisschen Geduld, bitte. Vor achtundvierzig Stunden lag ich noch nackt auf einem Tisch.«
»Oooh, hattest du endlich ein Date?«
»Haha, selten so gelacht. Ich kümmere mich später um alles. Jetzt muss ich erst mal zu meiner Mutter.«
Jessica nickte. »Na gut, ich komme mit.«
»Vergiss es. Es wird ihr auch ohne dich Klugscheißer nur schwer begreiflich zu machen sein, dass ich von den Toten auferstanden bin.«
»Du solltest nicht alleine gehen«, protestierte sie.
»Was soll mir schon passieren?«
Pause. Dann ein widerwilliges: »Guter Einwand.«
Ich stieg in meinen Wagen, knallte die Tür zu und kur-belte das Fenster herunter. »Du kannst darüber sprechen oder nicht, das ist mir egal. Ich will nur kein Geheimnis daraus machen, das ist alles. Wärst du nicht sauer gewesen, wenn ich es dir nicht gesagt hätte?«
»Das ist etwas anderes. Wir sind wie Schwestern.«
»Das sagen alle«, sagte ich fröhlich, »wegen der Familienähnlichkeit.«
Jessica rollte mit den Augen. »Du musst es ja nicht jedem sagen. Nur deiner Familie und mir. Und vielleicht Officer Nick.«
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»Detective Nick.«
Sie ignorierte meinen Einwurf. »Du solltest ihn mal ein-laden . . . verführerische Musik spielen . . . was Schlimmes von Sade vielleicht . . . und dann plötzlich zuschlagen. Er könnte deine erste Mahlzeit sein.«
Ich schreckte zurück vor dem Gedanken, auch wenn ich gestehen muss, dass das Bild von Nick als meinem ersten Opfer vor meinem geistigen Auge mir Appetit machte. »Du bist krank«, sagte ich, »und ich hasse Sade. Geh nach Hause und schlaf dich aus.«
»Ich bin nicht krank. Ich bin durchgeknallt. Damit kann ich leben, vor allem wenn ich die Alternativen bedenke.
Grüß Mama Taylor von mir. Und denk mal darüber nach, was ich gesagt habe, Klatschmaul. Filme gehen nicht immer an der Lebenswirklichkeit vorbei.«
Was nur bewies, dass Jessica nicht oft ins Kino ging.
Nach dieser kurzen Diskussion trennte ich mich von Jessica und fuhr zum Haus meiner Mutter. Nun, da ich mich entschlossen hatte, mein neues Leben anzunehmen (ohne zu wissen, wie), konnte ich meine Mutter nicht eine Minute länger in dem Glauben lassen, ich wäre tot.
Ich hatte meinen Wagen vor dem Haus meiner Mutter geparkt, einem kleinen, zweistöckigen Gebäude in Hastings, einer Kleinstadt dreißig Meilen vor St. Paul. Es war fast Mitternacht, aber das Licht im Erdgeschoss brannte noch. Selbst wenn es ihr gut ging, litt meine Mutter unter Schlaflosigkeit. Und heute ging es ihr sicher nicht gut.
Ich sprang die Treppenstufen hoch, klopfte zweimal und drehte dann den Türknopf. Nicht verschlossen – eines der Dinge, die ich an Hastings liebe.
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Ich trat ins Wohnzimmer und sah eine alte Frau im Stuhl meiner Mutter. Sie hatte das gelockte, graue Haar meiner Mutter (schon in der Highschool hatte sie zu ergrau-en begonnen) und trug den schwarzen Hosenanzug meiner Mutter und ihre Perlen, ein Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern.
»Wer . . . « – zum Teufel sind Sie,
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