Undead 01 - Weiblich, ledig, untot
aufgewacht bin . . . «
»Die Geschichte musst du mir unbedingt einmal er-zählen«, unterbrach er mich geschmeidig. »Wie ich schon sagte, mit ein bisschen Konzentration und Übung kannst du dich an jeden anschleichen, sogar an einen anderen Vampir.«
Dieser Gedanke munterte mich auf. Vielleicht könnte ich eines Tages, wenn ich mich geschickt anstellte, Sinclair auflauern und ihm seine Eier quetschen. »Also, wie geht das?«
»Siehst du den Hirsch?«
In der Tat, ich sah ihn. Ungefähr zwanzig Meter entfernt standen eine Hirschkuh und ein Jährling. Zu meinen Lebzeiten hätte ich sie weder gehört noch gesehen. Zum einen war es sehr dunkel, zum anderen standen sie gut versteckt im Unterholz.
»Jepp.«
»Lass uns versuchen, näher heranzugehen. Versuche die Hirschkuh zu berühren, bevor sie dich bemerkt.«
225
»Damit sie einen Herzanfall bekommt? Himmel, sie ist doch eine Mutter! Herzloser Widerling.«
»Dann das Kitz«, sagte er ungeduldig.
»Bambi Angst einjagen? Sinclair, ich schwöre, wenn du nicht ein Vampir wärst, würdest du in der Hölle schmoren.«
Er legte eine Hand über die Augen und schwieg für einen langen Moment, die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst. Die Pose kannte ich. Über die Jahre hatte ich sie schon bei meinem Vater, verschiedenen Lehrern und Chefs gesehen. Wahrscheinlich konzentrierte er sich mit aller Kraft darauf, mich nicht zu erwürgen. Tja, so war ich eben. Daran gewöhnte er sich besser bald.
»Außerdem«, setzte ich hinzu, »kommt da jemand.« Dem Lärmpegel nach zu urteilen war eine ganze Herde im An-marsch. Das Geräusch raschelnder Blätter war so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte. Es klang, als würde ein Riese Reis-Crispies kauen. Und ihr Atmen war wie das Keuchen eines kurzatmigen Rhinozerosses. In Erwartung eines grässlichen Ungeheuers schaute ich mich ängstlich um.
»Halli-Hallo! Habt ihr euch verlaufen?«
Das grässliche Ungeheuer war der Förster, ein Mann in den Vierzigern. Er war ungefähr so groß wie ich, mit dünner werdendem blondem Haar und wässrigen blauen Augen. Für April wies er bereits einen hübschen braunen Teint auf, und er trug eine braune Uniform mit Schulter-klappen, auf denen ich das Logo der Minnesota Game and Fish Commission erkannte.
»Wir gehen ein bisschen spazieren«, sagte Sinclair schnell und schüttelte den Kopf, weil die Hirschkuh und ihr Kitz 226
davonsprangen. »Junge Liebe, Sie wissen schon.« Er legte einen Arm um meine Schultern und drückte mich an sich.
»Bah«, sagte ich. »Ich meine, genau. Junge Liebe.«
»Ich muss Sie auffordern zu gehen«, sagte er streng.
»Wir sind gerade dabei, einige Untersuchungen zu machen. Es heißt, dass ein oder zwei der Hirsche CWD
haben.«
»Chronic Wasting Desease, chronische Erschöpfungs-krankheit?«, fragte Sinclair. »Sind Sie sicher?«
»Nein, deshalb untersuchen wir es ja. Gehen Sie bitte jetzt weiter«, sagte er freundlich.
»Guten Abend.«
»Okay, tschüss«, sagte ich und versuchte, Sinclairs Arm nicht allzu offensichtlich von meiner Schulter zu schütteln.
Es war, als wollte man einen Ast entfernen.
Als wir außer Hörweite waren, zog ich ihn zur Seite. »Chronic Wasting Desease? Ist das nicht BSE für Hirsche?«
»Ja.«
»Pfui! Und du wolltest, dass wir uns an wahnsinnige Hirsche anpirschen!«
»Die WHO sagt, es gebe keine Beweise, dass CWD auch Menschen infiziert, und erst recht keine Vampire.«
»Netter Versuch, mein Lieber! Blut saugen und mich dann mit Vampirwahnsinn anstecken, das ist für diese Woche so gar nicht auf meiner Agenda. Nicht dass überhaupt irgendetwas von diesem Mist hier auf meiner Liste wäre«, fügte ich leise hinzu.
»Ihr Blut saugen?« Sinclair hörte sich schockiert an. »Aber natürlich nicht!«
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»Oho, sie waren dir gut genug, um ihnen aufzulauern und sie zu Tode zu erschrecken, aber nicht, um sie zu essen?«
Er erschauerte. Ich hatte gedacht, das könnte er gar nicht!
»Nein, nein. Die Tiere waren nur zur Übung gedacht. Und frag nicht warum, das weißt du sehr gut.«
»Äh . . . nein, das weiß ich nicht.« Wahrscheinlich war ich nicht so clever, wie er dachte. Mist! »Warum nicht von Tieren trinken? Das muss doch leichter sein. Und auf jeden Fall ist es weniger traumatisch. Für alle Beteiligten!«
»Ist dir denn nicht die . . . Wirkung . . . aufgefallen, den dein Mund auf Männer hat?«
Die Wirkung, die mein Mund . . . oh. Oh! Wenn er tatsächlich so sinnlich war und so stark anmachte, dann würde
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