Undead 03 - Happy Hour in der Unterwelt
versuchen!«
Er zuckte die Achseln. »Wie du wünschst.«
Verdammt richtig, wie ich wünsche. Wenn ich ihn nur von seinen geliebten Notizen ablenken könnte, würde alles wieder werden wie vorher. Was war daran überhaupt so fesselnd?
Schrieb er etwa seinen Letzten Willen auf? Oder seine Ein-kaufsliste? Ich lehnte mich vor und linste, aber er schrieb in einer Sprache, die ich nicht kannte.
»Okay, Besprechung vertagt!«, kreischte ich. »Es sei denn, jemand möchte noch etwas hinzufügen?« Ich drehte mich um und schaute auf Jessicas Tür, aber sie öffnete sich nicht.
Also trollten wir uns.
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Am nächsten Tag fuhr ich zu dem Büro meiner Mutter an der Universität. Tina war noch nicht aufgestanden, Jessica ging mir immer noch aus dem Weg, Marc war irgendwo unterwegs und ich hatte mir so oft von Sinclair die kalte Schulter zeigen lassen, dass ich bald Frostbeulen bekommen würde.
Erst heute Abend würden wir erfahren, was Tina und Marc, wenn überhaupt, herausgefunden hatten, und die Warterei machte mich verrückt. Die ganze Situation machte mich verrückt.
Also brauchte ich meine Mama, wie jeder andere unsichere, einsame, freundlose Vampir auch.
Seit zwanzig Jahren hatte sie dasselbe hässliche Büro – eine Festanstellung brachte offenbar kein Budget für Inneneinrich-tung mit sich. Dr. Elise Taylor, Institut für Geschichte, war in das Glas der Tür geritzt. Ihr Fachgebiet war der Bürgerkrieg, insbesondere die Schlacht von Antietam, und als ich zehn war, wusste ich alles darüber.
Schon im Flur konnte ich sie sprechen hören, lange bevor ich ihre Silhouette hinter der Tür ausmachte. Sie hatte die Tür bereits halb geöffnet und redete immer noch auf ihren Kollegen ein.
»Ich gehe nicht zu diesem Ding und du kannst mich nicht dazu zwingen, Bob, unter keinen Umständen.«
Dann sah sie, dass ich auf sie wartete. Ihre Kinnlade klappte herunter und sie machte große Augen. Ihr schneeweißes Haar wurde nur noch lose von ihrem sonst immer einwandfreien Dutt gehalten – so sah sie nach ihren bürgerkriegsähnlichen Gefechten mit ihren Studenten der höheren Semester aus.
Dann schlug sie dem armen Bob die Tür vor der Nase zu und rannte zu mir.
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»Betsy! Du bist ja wach!« Sie sah aus dem Fenster, dann mich an, dann wieder aus dem Fenster. »Mein Gott, wieso bist du wach?«
»Surprise!«, sagte ich und streckte beide Arme aus. Sie hüpfte hinein – ich war einen Kopf größer, seit ich zwölf war –
und drückte mich. »Ich dachte, ich komme auf einen Sprung vorbei.«
»Ich liebe es, wenn du vorbeispringst. Was ist passiert?
Gehört das zum Königinsein dazu? Oh!« Ihre Hand fuhr zum Mund. »Da fällt mir ein . . . das heißt ja, dass du zu Antonias Baby-Party gehen kannst.«
Ich grinste. »Danke. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.
Super.«
»Also . . . was ist passiert?«
Schließlich erzählte ich ihr das meiste: dass ich im Buch gelesen hatte und verrückt geworden war und was ich Jessica und Marc und Tina angetan hatte. Das, was ich mit Sinclair gemacht hatte, ließ ich außen vor. Meine Mutter musste nicht auf den neuesten Stand über mein armseliges Liebesleben gebracht werden. Außerdem mochte sie Sinclair so gerne, dass sie vielleicht sogar mit mir geschimpft hätte. Meine Mutter war sehr aufgeschlossen, aber einiges brachte man ihr besser in homöopathischen Dosen bei.
». . . und Jessica versteckt sich immer noch vor mir. Zurzeit schläft sie nachts, hinter verschlossener Tür. Früher ist sie die ganze Nacht aufgeblieben, weil ich auch wach war. Ich habe wirklich, wenn ich mal so deutlich sein darf, tief ins Klo gegriffen, Mom. Das Schlimmste ist, dass ich mir den ganzen Schlamassel auch noch selbst eingebrockt habe. Sinclair hat mich vor dem Buch gewarnt, aber ich habe nicht auf 110
ihn gehört. Und Jess hat dafür bezahlen müssen. Alle haben bezahlt.«
»Du auch, mein Schatz.« Weich sah sie mich voller Mitgefühl an. Ahhhh, Mutterliebe war wie eine Sauna – mol-lig warm, aber sie konnte einem auch die Luft zum Atmen nehmen. »Und du bezahlst immer noch. Natürlich ist Jessica durcheinander. Aber ihr seid seit der siebten Klasse Freundinnen. Ein kleiner tätlicher Angriff wird das nicht ändern.«
»Denkst du wirklich?«
»Ja«, sagte sie überzeugt und das munterte mich gleich ein wenig auf. »Eure Freundschaft hat sogar den Tod überdau-ert, sie wird sich auch hiervon erholen. Bitte einfach weiter um Verzeihung, jeden Tag. Ein bisschen Reue wird dir nicht
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