Underground
versuchen?«
Ich konnte Mara hinter Bens Schultern kaum noch sehen. Nur ihre roten Locken waren zu erkennen, die zornig glühten. Mir selbst wurde plötzlich schwindlig. Ich hatte
das Gefühl, fünfzehn Kilometer weit durch brusthohen Schnee gelaufen zu sein.
Ihre Stimme klang gedämpft, als sie endlich antwortete: »Ich halte ihn eine Zeit lang fest, aber der Zauber wird nicht ewig funktionieren. Also muss ich nach einer Möglichkeit suchen, ihn für immer wegzuschicken. Wie konnte ich nur so dumm sein, Ben! Ich habe ihm erlaubt, hier zu bleiben, und er hat den Schutzzauber für unser Haus dazu benutzt, um schreckliche Dinge zu planen und stark genug zu werden, damit er seine Rachepläne durchführen kann. Wir dürfen nicht zulassen, dass es ihm gelingt! Wenn er bleibt, wird er es versuchen – ganz gleich, wie sehr ich seine Fähigkeiten auch einschränke.«
»Deshalb hast du also an Carlos gedacht«, meinte Ben nachdenklich.
»Ja«, erwiderte Mara seufzend. »Ich weiß, ich weiß. Es ist keine gute Idee, Carlos um Hilfe zu bitten. Vielleicht muss ich Albert einfach so lange einsperren, bis ich eine Lösung gefunden habe. Allerdings gefällt mir die Vorstellung überhaupt nicht, jetzt auch noch Gefängniswärterin spielen zu müssen.«
»Wie lange kannst du ihn dort oben festhalten?«, erkundigte ich mich.
»Ach, für den Moment ist sein Netz auf dem Dachfirst aufgespießt. Vermutlich kann ich eine magische Kuppel darüberlegen, sodass er etwa eine Woche dort oben bleiben könnte.«
»Glaubst du, dass dir innerhalb einer Woche eine Lösung einfallen wird?«, fragte Ben.
»Irgendetwas wird mir bestimmt einfallen …«
»Gut, dann verstauen wir ihn eine Weile unter dieser Kuppel auf dem Dach und machen uns für den Moment
keine weiteren Gedanken über ihn. Zumindest heute Nacht stellt er so keine Bedrohung mehr für Brian dar. Augenblicklich bist du sowieso viel zu aufgebracht und wütend, um etwas Gutes zu zaubern, Liebling.«
»Mein geliebter Ben – stets die Stimme der Vernunft in diesem Haus.«
»Ich habe aus leidvoller Erfahrung gelernt. Und wie sieht es mit dir aus, Harper? Hast zumindest du bekommen, was du wolltest?«
»Ja, habe ich.«
Ben nickte.
»Ich sollte jetzt gehen«, fügte ich hinzu und bemühte mich darum, ein paar Schritte auf die Tür zuzugehen, ohne mir meine Erschöpfung anmerken zu lassen. Es war nicht so sehr der Schmerz in meinem Knie, der mir zu schaffen machte, sondern vielmehr der Schock, unter dem ich stand.
Mara begann schwach zu protestieren und befreite sich aus der Umarmung ihres Manns. Ich merkte allerdings deutlich, dass sie mich nur aus Höflichkeit aufhalten wollte. Also verabschiedete ich mich so schnell wie möglich. Diesmal hatte ich den Danzigers wirklich keinen Gefallen getan. Ich fühlte mich schlecht, weil ich in meiner Einschätzung von Albert recht gehabt hatte. Manchmal ist es tröstender, wenn man falsch liegt.
Da ich niemanden mit meinem schlechten Gewissen belasten wollte, schickte ich weder Quinton eine Nachricht noch schaute ich bei Phoebe vorbei. Stattdessen fuhr ich nach Hause, wo mich mein Frettchen wie so häufig ignorierte und dafür mit seiner Lieblingsaubergine spielte.
DREIZEHN
A ls ich am Montagmorgen aufstand, herrschten drau ßen Temperaturen knapp unter null. Der Schnee war zwar liegen geblieben, sah aber nicht mehr so eindrucksvoll aus, nachdem er von Schneeräumern beiseitegeschafft und in schmutzige Hügel verwandelt worden war. An manchen Stellen lugte bereits Gebüsch oder Gras darunter hervor. Für die meisten Schulen war es noch immer zu kalt, da in vielen bisher weder Strom noch Heizung funktionierten. Die Kinder durften sich also auf einen weiteren freien Tag im Schnee freuen.
Ansonsten war es ein ganz normaler Montag. Ich stand wie immer auf, durchlief meine morgendliche Routine, trainierte eine Weile mein Knie und meine Schulter und fuhr dann ins Büro, wo ich mich erneut auf die liegengebliebenen Fälle von Nan Grover stürzte.
Zwölf Minuten nach elf meldete sich der Türalarm, den Quinton vor vielen Monaten eingebaut hatte. Eine matronenhafte Frau betrat den Raum. Ihr folgten zwei Männer, die wie Raketen kurz vor dem Abschuss aussahen. Die Frau hatte kinnlanges graues Haar, das mit weißen Strähnen durchsetzt war, und schien um die fünfzig zu sein. Sie trug einen schiefergrauen Hosenanzug und schwarze flache Schuhe sowie einen schwarzen Wollmantel. Ihr Anblick
ließ das Bild von düsterem Rauch auf einem Schlachtfeld
Weitere Kostenlose Bücher