Underground
Grund gibt, hier vorbeizuschauen, oder sich zu fragen, was sich wohl hinter der Tür verbirgt. Vermutlich nehmen die Leute, die hier vorbeigehen, einfach an, dass es sich um ein Werkzeuglager oder so etwas Ähnliches handelt.«
»Und das Schild an der Tür?«, wollte ich wissen.
»Bedeutet gar nichts. Das habe ich erfunden. Aber es sieht recht gefährlich aus, findest du nicht?«
»Ja, tut es«, stimmte ich zu. Ich fragte mich, ob es hier tatsächlich Dinge gab, die gefährlich waren. Die geradezu teuflische Gerissenheit, mit der Quinton seinen Bunker konstruiert hatte, brachte mich ziemlich aus der Fassung. Was in der Nacht zuvor mit Will passiert war, hatte mich tief verletzt, und Quintons seltsames Verhalten ließ mich nun noch wachsamer werden. »Und warum machst du dir die ganze Mühe? Wovor läufst du weg?«, fragte ich, auch wenn ich mich vor der Antwort ein wenig fürchtete.
»Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Aber sie läuft letztendlich darauf hinaus, dass ich mein Leben so führen will, wie ich mir das vorstelle. Oder zumindest soweit das geht.« Das war ein Wunsch, den ich durchaus verstehen
konnte. Quinton wusste natürlich nicht, was ich dachte, als er fortfuhr: »Die einzige Möglichkeit, um das zu erreichen, scheint mir die zu sein, aus dem System auszusteigen. Und das habe ich gemacht. Ich habe weder eine Sozialversicherungsnummer noch einen Führerschein und bin auch nicht als Wähler registriert. Ich habe keine feste Adresse, keine feste Stelle, keine engen Verbindungen, kein Bankkonto.«
Er hängte seinen Mantel und seinen Hut auf und schaltete einen Elektroofen ein, der in der Nähe eines Tisches stand.
»Klingt ziemlich einsam.«
Er zuckte mit den Achseln und zog das Gummiband aus seinem Pferdeschwanz. Dann fuhr er sich durch seine offen herabfallenden Haare und ging zu dem alten Kühlschrank. »In gewisser Weise ist es das auch. Aber so schlimm finde ich meine Situation eigentlich nicht. Hier unten gibt es viele Leute, die auf die eine oder andere Weise ganz ähnlich ticken wie ich.«
»Hier unten?«, fragte ich und lehnte mich an die Wand hinter mir. Ich verschränkte die Arme, da ich mich noch immer ein wenig unsicher fühlte.
»Ja, der Untergrund von Pioneer Square. Die sogenannten Asozialen, die Obdachlosen, die Versteckten. Wir sind alle hier unten. Wir bilden eine eigene Gemeinschaft. Und genau deshalb irritieren mich auch diese Todesfälle und das plötzliche Verschwinden von einigen. Das sind meine Freunde, meine Nachbarn, wenn du so willst. Manchmal bin ich der Einzige, der nicht völlig den Verstand verloren hat, und deshalb habe ich auch das Bedürfnis, etwas zu unternehmen, wenn wir bedroht werden.«
»Und indem du mich in die ganze Sache hineinziehst,
musst du dich nicht selbst zeigen, um das Richtige zu tun.«
Er machte den Kühlschrank auf und sah hinein. »Das klingt ziemlich selbstsüchtig von mir. Und zynisch von dir. Möchtest du ein Bier?«
»Wenn du mich schon zynisch nennst – welche Art von Bier?«
Er lachte. »Keine Ahnung. Da gibt es verschiedene. Statt mir Geld zu geben, bezahlen die meisten Kunden mit Bier oder Büchern. Ich bin da nicht wählerisch.«
Plötzlich hörte ich ein fernes Klopfen an der Holzwand neben dem Bett. Quinton schloss mit einem Fußtritt den Kühlschrank und ging an mir vorbei zu seiner Schlafnische. Er schob etwas beiseite und betrachtete den kleinen Bildschirm, der sich dahinter zeigte. Dann bedeckte er ihn wieder und fasste nach einem Griff in der Wand. Er riss daran, und die Wand schwang beiseite. Ganz wie in meiner Vorstellung, war es tatsächlich eine Tür in einem grö ßeren Tor, das nur wie eine Wand aussah. Jetzt verstand ich auch, wie er das Bett hier hereingebracht hatte. Die Bunkertür war dafür nämlich viel zu schmal.
Unter der Tür stand eine gebeugte, dunkle Gestalt. Sie trat einen Schritt vor und sah zu Quinton hoch, der etwas kleiner war als ich. Der Besucher war also ziemlich klein. Es handelte sich um einen dunkelhäutigen Mann, wobei ich nicht wusste, ob seine dunkle Hautfarbe angeboren oder nur die Folge seines langen Lebens unter der Erde war. Er streckte Quinton einen Metallkasten entgegen, der irgendetwas Elektronisches sein musste, wenn man von den Kabeln ausging, die daran herunterhingen. Der Mann zitterte und warf immer wieder einen besorgten Blick hinter sich. Ich hatte den Eindruck, dass er auf Entzug war.
»Hi, Q-Man. Hier ist das Radio. Siehst du – ich halte, was ich verspreche. Das ist
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