Underground
diese Leichen. Außerdem beißen sie auch keine Gliedmaßen ab.«
»Warum hast du noch nicht mit Edward gesprochen? Du hast doch ganz offensichtlich hier im Untergrund eine privilegierte Position. Außerdem kennst du Edward, und er kennt dich. Könntest du nicht als Vermittler, als Vertreter der Obdachlosen, zu ihm gehen und ein ernstes Wörtchen mit ihm reden?«
Ich nahm zwar nicht an, dass der oberste Vampir von Seattle Quinton mit offenen Armen empfangen würde – die beiden schienen sich nicht sonderlich zu mögen -, aber ich hatte den Eindruck, dass sie sich zumindest gegenseitig respektierten. Bestimmt wäre ein Gespräch mit Edward nicht völlig nutzlos gewesen.
Quinton schnaubte verächtlich und verschluckte sich fast an seinem Bier. »Zum Teufel – nein! Ich habe mich schon oft genug zwischen die Vampire und ihre nächste
Mahlzeit gestellt. Ich glaube kaum, dass ich bei Edward und seinen Freunden ein gern gesehener Gast wäre.«
»Und keiner von denen hat bisher versucht, sich an dir zu rächen?«
»Doch, versucht haben sie es. Aber ich kenne ihre Schwächen, und ich weiß, wie man sie verletzen kann, ohne sie zu töten. Ich habe immer versucht, neutral zu bleiben, denn es ist keine gute Idee, sich hier unten Feinde zu machen. Ganz am Anfang habe ich sogar einiges für Edward erledigt und so manches Problem für ihn gelöst. Aber für den Kerl zu arbeiten ist genauso schlimm wie für die Regierung. Deshalb habe ich mich entschlossen, auf Distanz zu gehen, und ihn dazu zu zwingen, dasselbe zu tun. Ich wäre also sicher im After Dark alles andere als willkommen.«
Es hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen, dass Quinton den Vampirclub kannte. Er schien viel zu wissen, und das auch auf Gebieten, in denen ich mich erst noch zurechtfinden musste. Ich seufzte. »Das heißt also, du möchtest, dass ich mit Edward spreche. Oder habe ich dich da falsch verstanden?«
»Nur wenn es sich nicht vermeiden lässt. Ich glaube, dass es seine Leute sind, die hier unten wildern. Aber ich könnte auch falsch liegen. Leider habe ich nicht die nötigen Fähigkeiten, um herauszufinden, was wirklich los ist. Und genau das ist meine Absicht – herauszufinden, was los ist, und es zu einem Ende zu bringen. Ich habe nicht vor, von irgendeinem Vampir zu Mittag verspeist zu werden, und ich will auch nicht, dass dieses Schicksal meine Nachbarn ereilt. Außerdem möchte ich garantiert nicht, dass die Bullen plötzlich anfangen, hier unten herumzuschnüffeln und alles genau unter die Lupe zu nehmen.
Seitdem ich den Mann im Tunnel gefunden habe und die Polizei davon weiß, ist es sowieso schon wesentlich unruhiger geworden. Auf einmal interessiert man sich für uns, und es wird nicht lange dauern, bis auch andere anfangen, ihre Nase in unsere Angelegenheiten zu stecken. Das wäre für keinen von uns angenehm.«
»Verstehe«, sagte ich und stellte meine leere Bierflasche auf den Tisch. »Ich glaube, allmählich begreife ich, worum es dir geht. Wie viele Tote gibt es bisher? Und wie viele Leute sind verschwunden?«
»Drei sind tot und fünf verschwunden. Und dann ist da noch das Bein in der Baugrube. Das könnte natürlich auch Zufall sein und nichts mit uns zu tun haben. Aber ich bezweifle es.«
»Einige der Leute, die verschwunden sind, könnten doch auch freiwillig weggegangen sein oder sich woanders niedergelassen haben«, meinte ich.
»Ja, vielleicht ein oder zwei. Aber die meisten haben keine Alternative zu dem Leben hier unten. Sie besitzen weder Autos noch genug Geld, um mit dem Zug irgendwo hinfahren zu können. In dieser Jahreszeit und wenn es so kalt ist, kämen die meisten innerhalb eines Tages nicht einmal bis zum nächsten Unterschlupf, wo ihnen Essen und Sicherheit geboten wird. Außerdem ist es nicht leicht, mit irgendwelchen Bussen von hier nach Los Angeles oder sonst wohin zu kommen, wo es wärmer ist. Die meisten meiner Kollegen sitzen hier fest, denn sie sind nicht freiwillig hier wie ich. Der Untergrund ist für sie eine Sackgasse. Wenn sie verschwinden, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass sie tot sind.«
Ich sah ihn aus schmalen Augen an und beschloss, ihm noch eine Weile Paroli zu bieten. »Einige der Obdachlosen
schaffen es durchaus. Sie finden ein neues Zuhause und auch Jobs. Das hört man immer wieder.«
»Stimmt. Einige vielleicht schon. Es gibt ein paar wirklich gute Anlaufstellen in und um Seattle, die den Leuten auch wirklich helfen, wenn sie sich helfen lassen wollen.
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