Underground
wandte ich den Kopf ab und starrte ihn finster aus den Augenwinkeln an.
Frustriert fuhr er fort: »Sie haben anscheinend den Scheck vergessen, den Sie damals angenommen haben und der Sie an mich bindet. Sie stehen also in meiner Schuld, denn ich hätte Ihnen nichts bezahlen müssen.«
»Oh, ja. Ich weiß. Sogar sogenannte Geschenke haben ihren Preis.« Ich zog einen cremefarbenen Umschlag aus meiner Tasche und knallte ihn zwischen uns auf den Tisch. Der Klang erinnerte an eine zerrissene Gitarrenseite. »Meinen Sie vielleicht diesen Scheck?«, fragte ich unschuldig und sah ihn nun direkt an.
Ich hatte den Scheck seit jener Nacht, in der ich ihn erhalten hatte, in seinem ursprünglichen Umschlag in der untersten Schublade meines Büroschreibtischs aufbewahrt. Der eingetragene Betrag wies viele Nullen auf. Doch die Versuchung, die eine solche Summe auch für mich bedeutete, hatte nicht die gleiche Wirkung wie die Angst, Edward Kammerling auf immer verpflichtet zu sein. Ich hatte schon früh in meinem Leben begriffen, dass man einen unerwartet hohen Lohn nicht umsonst bekam.
Als junges Mädchen war mir ein großzügiger Vorschuss für eine Rolle in einem Musical angeboten worden – allerdings nur unter der Bedingung, dass ich den eindeutigen Wünschen des Regisseurs nachkam. Dummerweise hatte
mich diese Erfahrung nicht gelehrt, nicht immer wieder in Versuchung zu geraten. Das letzte Mal jedoch, als ich mich in einer solchen Lage befunden hatte, war mir endgültig klar geworden, dass es auf der Welt nichts umsonst gab. So ließ mich bereits jede Einladung zum Mittagessen aufhorchen, und je üppiger dieses war, desto misstrauischer wurde ich. Nach meinen ersten Begegnungen mit dem Grau und der Wirkung, die diese magische Welt auf mich hatte, war ich davon ausgegangen, dass Vampire einen noch höheren Preis für ihre angeblichen Gefallen verlangten. Ich hatte nicht falsch gelegen. Offensichtlich war meine zynische Ader in diesem Fall von Vorteil gewesen, denn Edward reagierte jetzt ausgesprochen gereizt.
Er nahm den Umschlag und zog den Scheck mit dem Vermerk »Für Dienste an der Community« heraus. Die Temperatur fiel spürbar, bis ich schließlich meinen Atem sehen konnte. Zorn ist nicht zwangsläufig immer ein hei ßes Gefühl. Doch wenn er sich in diesem Fall als Hitze gezeigt hätte, wäre das Papier vermutlich innerhalb weniger Sekunden zu Asche zerfallen.
Der Vampir legte Umschlag und Scheck nachdenklich wieder auf den Tisch. »Verstehe.«
»Sie sollten sich ab und zu Ihre Kontoauszüge ansehen«, schlug ich vor. »Offensichtlich nehmen Ihre Banker ihren Job nicht ganz so ernst. Ich hatte diesen Scheck seit vergangenem Mai, aber Ihnen ist anscheinend nicht aufgefallen, dass er nie eingelöst wurde.«
Edward sah mich an. Oberflächlich betrachtet wirkte sein Blick neutral. Doch die Aura um seinen Kopf strahlte blutrot. Gleichzeitig bildeten sich schwarze Sturmwolken im Grau. Er lehnte sich zurück, und der Zorn verflog genauso schnell, wie er gekommen war.
»Ich hätte wissen müssen, dass es bei Ihnen nicht funktioniert.«
»Wir sind nicht alle so leicht zu bestechen.«
»Oh, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich hielt Sie nicht für bestechlich. Ich dachte, ich würde Sie auf eine andere Weise in Versuchung führen können.« Er verriet mir nicht, was er im Schilde geführt hatte. »Doch wir haben bereits genug Zeit verschwendet. Was wollen Sie? Vielleicht schulden Sie mir ja bald wirklich etwas.«
»Hören Sie mit Ihren Spielchen auf, Edward. Ich brauche nur eine kleine Information. Ich bitte Sie um keinen Gefallen.«
»Schon verstanden«, gab er zurück. »Was wollen Sie wissen?«
»Wer bringt die Obdachlosen am Pioneer Square um?«
Die Frage überraschte ihn. »Woher soll ich das bitte wissen? Wieso fragen Sie?«
»Die Todesfälle sind ziemlich seltsam. Die Körper scheinen nicht mehr viel Blut in sich zu haben, und an einigen Leichen wurden offenbar Hände und Beine abgenagt.«
Der Vampir runzelte die Stirn. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. »Ich vermute, dass Ihr Freund Quinton diesen Verdacht geäußert hat. Er hält sich für klug. Ich kann nicht behaupten, dass mir die Gesellschaft sonderlich zusagt, mit der Sie sich umgeben.«
»Mir sagen auch nicht alle zu, mit denen ich mich umgeben muss«, erwiderte ich spitz. »Sie haben doch bisher ganz gut zusammengearbeitet. Was haben Sie plötzlich gegen Quinton einzuwenden?«
Der Anflug eines Lächelns deutete sich auf seinem Gesicht
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