Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Lebensgeschichte offenbart. Irgendwie unwirklich.
«Tut mir leid, Angela», sage ich. «Das ist … echt beschissen.»
Einen Moment lang schließt sie die Augen, als ob sie in Gedanken alles noch einmal vor sich sieht.
«Deine Mutter ist also menschlich, und deinen Vater hast du nie gesehen. Woher weißt du dann eigentlich, dass du ein Engelblut bist?», frage ich.
«Von meiner Mutter. Eines Abends erzählte sie mir, dass ihr kurz vor meiner Geburt ein anderer Engel erschienen sei und ihr all das über das Engelblut erklärt habe. Eine ganze Weile hielt sie es für einen verrückten Traum. Aber als sie gemerkt hat, dass ich irgendwie anders bin, hat sie es mir gleich erzählt. Da war ich zehn.»
Nicht gerade die Art Geschichte, die man von der eigenen Mutter hören möchte. Ich denke daran, wie Mama mir das mit dem Engelblut erklärt hat, vor zwei Jahren erst, und wie schwer allein das schon für mich gewesen ist. Es ist mir unvorstellbar, wie ich als Kind reagiert hätte oder gar auf die Erwähnung einer Vergewaltigung.
«Es hat dann ganz schön lange gedauert, bis ich sonst noch etwas herausfinden konnte», sagt Angela. «Meine Mutter wusste ja nichts weiter über Engel, abgesehen von dem, was in der Bibel steht. Sie meinte, ich gehörte zu den Nephilim wie in der Schöpfungsgeschichte und ich würde mal eine Heldin werden so wie zur Zeit von Samson.»
«Dann pass bloß auf und lass dir nie die Haare schneiden.»
Sie lacht und fährt sich mit den Fingern durch ihr langes schwarzes Haar.
«Aber du wusstest das mit Dimidius und Quartarius und all das», werfe ich ein.
«Hier und da hab ich mir ein paar Dinge zusammengesucht. Ich halte mich inzwischen für so was wie eine Engelhistorikerin.»
Eine Weile herrscht Schweigen.
«Oh Mann», sage ich.
«Ich weiß.»
«Ich finde allerdings immer noch, dass wir unser Referat über Elisabeth I. halten sollten.»
Sie lacht. Dann dreht sie sich mir zu, zieht die Beine an und setzt sich in den Schneidersitz, so nah, dass ihre Knie meine Knie berühren.
«Wir werden die besten Freundinnen», sagt sie.
Ich glaube ihr.
Da ich um zehn zu Hause sein muss, haben wir kaum noch Zeit zum Reden. Ich weiß nicht mal, wo ich beginnen soll, so viele Fragen fallen mir ein. Eines ist mir allerdings schnell klar: Angela weiß unglaublich viel über Engel, über ihre Geschichte, über die Kräfte, die ihnen zugeschrieben werden, über die Namen und den jeweiligen Rang verschiedener Engel, die in der Literatur und in religiösen Texten auftauchen. Aber was andere Bereiche angeht, Dinge über Engel und Wesen mit Engelblut, die man nur von Eingeweihten erfährt, weiß sie kaum etwas. Ich merke, dass wir sehr viel voneinander lernen können, denn meine Mutter erzählt mir nur das, was ich ihrer Meinung nach unbedingt wissen muss, wenn überhaupt.
«Hast du diese ganzen Informationen in Rom gesammelt?», frage ich.
«Die meisten», antwortet Angela. «Wenn man was über Engel herausfinden will, ist Rom wirklich der geeignete Ort. Jede Menge Geschichte. Obwohl ich letztes Jahr in Mailand einen Intangere getroffen habe, und von dem hab ich mehr gelernt als aus jeder anderen Quelle.»
«Stopp mal. Was ist denn ein Intangere ?»
«Dummchen», sagt sie, als hätte ich mir das denken können. «Das ist der lateinische Begriff für den Vollblutengel. Wörtlich übersetzt bedeutet es ‹ganz›, ‹unberührt›, ‹fertig in sich›. Das heißt also, es gibt den Intanger e, den Dimidius und den Quartarius .»
«Oh, ja klar», antwortete ich, als wäre mir das nur mal kurz entfallen. «Dann hast du also einen richtigen Engel getroffen?»
«Ja. Ich hab ihn gesehen, und ich glaube, das hätte gar nicht passieren dürfen. Wir waren in einer kleinen, ganz abgelegenen Kirche, und ich hab ihn da stehen sehen, wie er leuchtete, also hab ich auf Engellisch hallo gesagt. Er hat mich angesehen, dann hat er mich am Arm gepackt, und plötzlich waren wir irgendwo anders, aber so, als wären wir immer noch in der Kirche, beides gleichzeitig.»
«Hört sich an wie der Himmel.»
Sie runzelt die Stirn und beugt sich näher zu mir, als hätte sie mich nicht ganz verstanden.
«Was?»
«Hört sich an, als wenn er dich in den Himmel mitgenommen hätte.»
Sie reißt die Augen weit auf, denn plötzlich hat sie begriffen. «Was weißt du über den Himmel?», will sie von mir wissen.
Ich werde rot.
«Na ja, nicht gerade viel. Ich weiß, dass er dimensional ist, dass er sich direkt oberhalb der Erde
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