Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
Worten BONNIE ELIZABETH PRESCOTT. Daneben ist eine Rose eingezeichnet. Kein Geburts-, kein Todesdatum, was mir seltsam vorkommt, andererseits hätte ihr Geburtsdatum ganz bestimmt für einiges Erstaunen gesorgt, auch wenn Bonnie bei ihrem Tod, gemessen an Engelblutjahren, erst mittleren Alters gewesen war.
«Er blüht wirklich nicht», antwortet Christian. «Das ist heute das erste Mal.»
Er holt tief Luft, streckt die Hand aus und berührt sacht die Rose. Dann sieht er mich an. In diesem Augenblick ist so viel Gefühl in ihm, dass ich instinktiv versuche, die Tür zwischen uns zu schließen – es ist einfach zu viel. Doch ich kann es noch in seinem Gesicht sehen. Da ist etwas, das er mir sagen will, nein, das er mir unbedingt sagen muss.
«Meine Mutter hatte wunderschönes Haar», sagt er.
Na schön, das ist nicht ganz das, was ich erwartet hatte.
«Es war so ein helles Blond, ein seidiges Weizenblond. Ich habe ihr immer zugesehen, wenn sie sich das Haar gebürstet hat. Sie saß dann immer im Schlafzimmer an der Frisierkommode und bürstete ihr Haar, bis es glänzte. Sie hatte grüne Augen. Und sie hat so gern gesungen. Die ganze Zeit hat sie gesungen. Sie konnte offenbar nicht anders.»
Er setzt sich auf die Bank. Ich stehe noch eine Weile da und sehe zu, wie er sich in der Erinnerung an seine Mutter verliert.
«Ich denke jeden Tag an sie», sagt er. «Und ich vermisse sie. Jeden. Einzelnen. Tag.»
«Ich weiß.»
Ernst schaut er zu mir auf. «Du sollst wissen, dass ich da sein werde. Wenn es dir passiert. Ich werde dir die ganze Zeit zur Seite stehen, wenn du mich lässt. Das verspreche ich dir.»
In letzter Zeit machen die Leute mir viele Versprechungen. Ich nicke. Dann setze ich mich neben Christian auf die Bank und schaue auf die Berge; die weiße Spitze des Grand Teton ist kaum zu erkennen. Ein leichter Windstoß fährt mir ins Haar und weht es auf Christians Schulter.
Es ist der denkbar schönste Ort für einen Friedhof. Es ist so friedlich hier, so weit weg vom Leben und all seinen Sorgen, aber dennoch mit dem Leben verbunden. Der Friedhof blickt über die Stadt. Wacht über uns. Es ist, so denke ich, der ideale Ort, um Mamas Leichnam zur Ruhe zu betten, und genau in diesem Moment stelle ich sie mir als etwas anderes vor, sehe in ihr nicht mehr nur den wiederkehrenden Albtraum, und da habe ich zum ersten Mal eine Vision von dem, was nach ihrem Tod passieren wird. Ich sehe nicht das Begräbnis oder die Grabstätte oder etwas von den anderen Dingen in meiner üblichen Vision. Ich sehe das Danach. Wir werden sie hierlassen, und das ist richtig so. Wenn es so weit ist, werden wir ihren Leichnam hier zur Ruhe betten, an diesem wunderschönen Ort, in der Nähe von Christians Mutter. Und ich komme gelegentlich hier herauf, wie Christian, und lege Blumen auf ihr Grab.
Wieder lässt Christian seine Hand in meine gleiten. «Du weinst ja.»
Ich hebe die andere Hand zur Wange; er hat recht. Ich weine. Aber es ist ein schönes Weinen, denke ich. Vielleicht bedeutet es, dass ich jetzt loslassen kann.
«Danke, dass du mich hergebracht hast», sage ich.
Und da meint er: «Clara, da gibt es etwas, das ich dir sagen muss.»
Er steht auf und stellt sich vor mich, ohne meine Hand loszulassen. Die Nachmittagssonne scheint auf sein Haar und umgibt ihn mit einem goldenen Leuchten. Ich blinzele hoch zu ihm, blicke in seine Augen.
«Dein Vater ist ein Engel, und deine Mutter ist ein Dimidius», sagt er, «was dich zu einem Triplar macht.»
«Woher weißt du von den Triplaren?», frage ich verblüfft. Ich dachte, das wäre eine Art Riesengeheimnis.
«Von meinem Onkel. Als ich zehn war, hat er sich mit mir hingesetzt und mir alles über Triplare erzählt, zum Beispiel darüber, wie selten sie sind – er glaubt, dass nur sieben Triplare jemals zur selben Zeit auf der Erde gelebt haben –, und darüber, wie mächtig sie sind. Und dass sie beschützt werden müssen, um jeden Preis.»
Ist es das, was er will, überlege ich. Mich beschützen? Ist es das, was er meint, wenn er davon redet, dass er immer für mich da sein wird? Ist es seine Aufgabe, für mich eine Art Schutzengel zu sein?
«Seit Monaten will ich dir das schon sagen», meint er. «Manchmal dachte ich schon, es platzt jeden Moment aus mir heraus wie in dem Film Alien .»
«Moment mal», sage ich. «Was willst du mir seit Monaten schon sagen? Dass ich ein Triplar bin?»
«Das weiß ich seit der Sache mit dem himmlischen Glanz im Engelclub.» Er fährt
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