Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
später, versuchen wir tatsächlich zu angeln. Ich finde, ich stelle mich dabei immer noch total idiotisch an. Und es gefällt mir immer noch, dass ich mich dabei total idiotisch anstelle. Und Tucker ist immer noch so was wie ein Fischflüsterer.
«Ganz ruhig», sagt er leise und entfernt vorsichtig den Haken aus dem Maul einer glänzenden Cutthroat-Forelle. «Nächstes Mal passt du besser auf.»
Er hält sie wieder ins Wasser, wo sie in einem Aufblitzen aus Grün- und Silbertönen davonschießt. Er sieht zu mir hoch und lächelt schelmisch. «Und, hast du jetzt Lust, ein bisschen mit mir rumzumachen?», fragt er und hält seine mit Fischschleim verschmierten Hände hoch.
«Ähm, die Versuchung ist groß, aber nein danke», antworte ich schnell. «Wir wollten doch brav sein, oder nicht?»
«Sehr witzig», sagt er und macht sich daran, seine Angel wieder einzuholen. «… wirklich sehr, sehr witzig.» Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, und ganz plötzlich ist es kälter. Stiller. Sogar die Vögel zwitschern nicht mehr. Ein Zittern fährt durch meinen Körper.
«Willst du mein Hemd?», fragt Tucker, Gentleman wie immer.
«Danke, aber ich arbeite gerade daran, gegen Kälte immun zu werden.»
Er lacht. «Na dann, viel Glück dabei. Es bleiben uns wahrscheinlich nicht mehr viele Tage wie dieser, warm genug, um hier draußen zu angeln.» Er befestigt einen Köder an seinem Angelhaken und wirft die Angel wieder aus. Fast sofort beißt einer an. Wieder derselbe Fisch.
«Du verdienst es nicht besser, du solltest wirklich auf dem Teller landen», sagt er zu der Forelle, lässt sie aber wieder frei. «Na los, verschwinde! Mach dich auf die Suche nach deiner Bestimmung. Aber halt dich fern von diesen glitzernden Hakendingern.»
Das erinnert mich aus irgendeinem merkwürdigen Grund an mein Gespräch mit der Studienberaterin.
«Du arbeitest ziemlich viel in letzter Zeit», setze ich an.
«Erinner mich nicht dran.»
«Willst du dir ein neues Pferd kaufen?»
«Und einen neuen Truck noch dazu, und mit ‹neu› meine ich gebraucht, und mit ‹gebraucht› meine ich einen, der aus dem letzten Loch pfeift. Mehr werde ich nicht zusammenkriegen.»
«Sparst du nicht fürs College?», frage ich.
Falsche Frage. Er hält den Blick starr auf die Angelrute gerichtet, dann holt er schnell die Schnur ein und nimmt die Rute auseinander. «Nein», sagt er mit erzwungener Leichtigkeit. «Nach dem Highschool-Abschluss bleibe ich auf der Ranch. Mein Vater hat sich im Frühjahr das Knie verletzt, und wir können es uns nicht leisten, noch eine Hilfe einzustellen, also hab ich gedacht, ich bleibe einfach zu Hause.»
«Oh», ist alles, was mir dazu einfällt. «Warst du schon bei Miss Baxter?»
«Allerdings», sagt er verächtlich. «Sie hat darauf bestanden, dass ich in der nächsten Woche einen Vorstellungstermin bei der Northern Arizona University mache. Ich denke, ich gehe dann wohl in ein oder zwei Jahren aufs College. Scheint sich nicht vermeiden zu lassen.»
«Und was für Fächer würdest du belegen? Auf dem College, wenn du denn gehst?»
«Landwirtschaft, vermutlich. Forstwirtschaft vielleicht», sagt er und reibt sich den Nacken.
«Forstwirtschaft?»
«Dann kann ich Ranger werden.»
Ich stelle ihn mir in der grünen Ranger-Uniform vor, mit einem dieser Hüte wie Smokey der Bär ihn hat, die Comic-Figur, die im Fernsehen Aufklärung über Waldbrände macht. Richtig heiß wird er darin aussehen.
«He, es wird allmählich spät. Sollen wir zurück?», fragt er.
«Klar.» Ich hole die Schnur ein und verstaue meine Angel hinten im Boot bei der von Tucker. Er lässt den Motor an, und ein paar Minuten später gleiten wir übers Wasser aufs Dock zu. Wir sagen beide kein Wort, aber plötzlich seufzt er. Er drosselt die Geschwindigkeit, dann hält er ganz an. Wir sind mitten auf dem See, der Motor ist im Leerlauf, die Sonne versinkt hinter den Bergen.
«Ich will nicht weg», sagt er nach einer Weile.
Verblüfft sehe ich ihn an. «Du willst nicht weg?»
Er deutet auf die Landschaft um uns, die hoch aufragenden bläulich schimmernden Berge hinter uns, den grauen Reiher, der wie schwerelos über das Wasser streift, das Glitzern der untergehenden Sonne auf dem See. «Das hier ist meins. Das hier will ich.»
Ich begreife, dass er nicht von heute spricht, vom See, von diesem Moment. Er spricht über seine Zukunft.
«Ich gehe ja vielleicht aufs College, aber auf jeden Fall werde ich wieder hierher zurückkommen», sagt er.
Weitere Kostenlose Bücher