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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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»Er ist ebenso verwundbar wie wir alle.«
    Volyova wollte die Sache gern hinter sich bringen. Sie beleuchtete das bisher noch dunkle Hologramm und füllte es mit einem Echtzeitbild der Lorean. Äußerlich zeigte das Wrack keinerlei Veränderung, seit sie es gefunden hatten – der Rumpf war immer noch durchsiebt von den Einschlägen, die ihn, wie sie inzwischen wussten, unmittelbar nach dem Angriff von Cerberus und der Zerstörung der Sonden getroffen hatten. Doch im Innern waren Volyovas Maschinen fleißig an der Arbeit gewesen. Zuerst hatte der Roboter, den sie ausgeschickt hatte, um Alicias Logbuch zu holen, nur einen kleinen Drohnenschwarm generiert. Doch dieser Schwarm hatte sich rasch vermehrt. Zur Förderung seines Wachstums hatte er Schiffsmetall konsumiert und sich an die schiffseigenen Replikations- und Autoreparatursysteme angeschlossen, von denen die meisten nach dem Angriff nicht mehr neu gestartet worden waren. So waren weitere Schwärme entstanden – und etwa einen Tag nach Einleitung des Fortpflanzungsprozesses hatten sie mit der eigentlichen Arbeit begonnen: der Transformation des Schiffsinnern und der Außenhülle. Ein flüchtiger Beobachter hätte von alledem nichts bemerkt. Aber bei jeder Aktivität entstand Wärme, und auch die äußerste Schicht des Schiffswracks hatte sich im Lauf der vergangenen Tage leicht erwärmt. Daran war die rege Aktivität im Innern zu erkennen.
    Volyova strich über ihr Armband und vergewisserte sich noch einmal, dass alle Anzeigen im grünen Bereich waren. Gleich ging es los: was sie auch tat, der Prozess war nicht mehr aufzuhalten.
    »Mein Gott«, sagte Hegazi.
    Die Lorean veränderte sich, sie häutete sich. Große Teile der beschädigten Außenhülle lösten sich ab und bildeten einen Trümmerkokon um das Schiff, der sich langsam entfernte. Was darunter zum Vorschein kam, hatte die gleiche Form wie das Wrack, aber einen Panzer, der so glatt war wie die neue Haut einer Schlange. Die Transformation war nicht weiter schwierig gewesen – anders als die Unendlichkeit wehrte sich die Lorean nicht mit eigenen Replikationsviren gegen den Eingriff. Sie sträubte sich nicht gegen die Hand des Bildhauers. Die Unendlichkeit war so schwer zu bearbeiten wie Feuer; verglichen damit war das andere Schiff wie Wachs in Volyovas Händen.
    Als immer mehr Trümmer abfielen, drehte sich die Lorean um ihre Längsachse, und der Blickwinkel veränderte sich. Die Synthetiker-Triebwerke waren noch funktionsfähig und blieben am Rumpf befestigt – doch gesteuert wurden sie jetzt von Volyovas Armband aus. Wahrscheinlich hätten sie nie wieder die erforderliche Leistung erbracht, um das Schiff auf knapp unter Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, aber das hatte Volyova auch nicht vor. Die Lorean hatte nur noch eine Reise vor sich – ihre endgültig letzte – und die war fast beschämend kurz. Das Schiff war jetzt nahezu hohl, alles, was sich in seinem Innern befunden hatte, war komprimiert und zur Verstärkung des konischen Rumpfs verwendet worden. Der Kegel war unten offen; das Schiff glich einem riesigen, spitzen Fingerhut.
    »Dan«, sagte Volyova. »Meine Maschinen haben Alicias Leiche und natürlich auch die Leichen der anderen Besatzungsmitglieder gefunden. Die meisten Meuterer hatten im Kälteschlaf gelegen… aber auch sie haben den Angriff nicht überlebt.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Wenn Sie wollen, kann ich sie bergen lassen. Das kostet natürlich Zeit – wir müssten ein Shuttle hinüber schicken, um sie hierher zu bringen.«
    Sylveste entschied sich schneller, als sie erwartet hatte. Sie hatte angenommen, er würde sich bis zu einer Stunde Bedenkzeit erbitten. Stattdessen sagte er: »Nein. Wir können uns keine Verzögerung mehr leisten. Sie haben Recht. Cerberus hat die Aktivitäten sicher bemerkt.«
    »Und die Leichen?«
    Seine Antwort klang so, als gebe es nur eine vernünftige Lösung. »Sie werden mit der Lorean untergehen.«

Zweiundzwanzig
    Im Orbit um Cerberus/ Hades, an der Heliopause von Delta Pavonis, 2566
    Dann fing es richtig an.
    Sylveste saß, die Fingerspitzen aneinander gelegt, vor einer leuchtenden entoptischen Projektion, die einen beträchtlichen Teil seiner Kabine einnahm. Pascale lag, halb im Schatten, auf dem Bett wie eine aus Kurven zusammengesetzte abstrakte Skulptur; er selbst hockte leicht schwankend im Schneidersitz auf einer Tatamimatte. Minuten zuvor hatte er ein paar Millimeter vom Schiff destillierten Wodkas gekippt, obwohl er nach

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