Unendlichkeit
Sonnendieb seither gewonnen, oder war das anhaltende Schweigen der Mademoiselle nur ein Zeichen dafür, dass sie alle Energien brauchte, um den Krieg fortzusetzen? Nagorny war wahnsinnig geworden, sobald sich Sonnendieb in seinem Kopf eingenistet hatte. Stand Khouri dieses Schicksal noch bevor, oder wollte sich Sonnendieb in ihrem Kopf nicht ganz so breit machen? Vielleicht – ein beunruhigender Gedanke – hatte er aus seinen Fehlern bei Nagorny gelernt. Und wie viel von alledem würde Sajaki wissen, wenn der Trawl abgeschlossen war?
Er hatte sie aus ihrer Kabine geholt; Hegazi hatte er zur Verstärkung mitgebracht. Der andere Triumvir war bald gegangen, aber selbst wenn Sajaki allein gekommen wäre, hätte Khouri nicht an Widerstand gedacht. Volyova hatte sie gewarnt, Sajaki sei stärker, als er aussehe. Khouri war im Nahkampf erfahren, aber sie zweifelte nicht daran, dass ihr Sajaki im Ernstfall überlegen wäre.
Im Trawl-Raum herrschte die Atmosphäre einer Folterkammer. Hier hatten sich grauenvolle Szenen abgespielt – das mochte seit Jahrzehnten vorbei sein, aber die Erinnerung daran ließ sich nicht auslöschen. Die Trawl-Anlage war eine Antiquität, die klobigste, monströseste Maschine, die Khouri bisher auf diesem Schiff gesehen hatte. Vermutlich hatte man sie etwas modernisiert, so dass sie gründlicher arbeitete als das ursprüngliche Gerät, aber den hochentwickelten Trawls, die der Nachrichtendienst ihrer Seite auf Sky’s Edge besessen hatte, konnten sie sicher nicht das Wasser reichen. Sajakis Trawl hinterließ Schäden in der Neuralstruktur, er wütete im Gehirn wie ein hektischer Einbrecher. Die Mordinstrumente, die Cal Sylveste bei den Achtzig eingesetzt hatten, waren – wenn überhaupt – kaum primitiver gewesen.
Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Ihre Implantate gaben bereits die ersten Geheimnisse preis… er entschlüsselte ihre Strukturen, las die Daten ab. Wenn er damit fertig war, würde er den Trawl auf die Kortexstrukturen richten, um neuronale Verbindungsstränge aus ihrem Schädel zu lösen. Khouri hatte von Bekannten beim Nachrichtendienst viel über die Technik des Trawlens erfahren. In diese Topologien waren Langzeiterinnerungen und Charakterzüge eingebettet, so eng verflochten, dass sie nur schwer zu trennen waren. Dennoch, Sajakis Anlage mochte nicht die beste sein, aber vermutlich verfügte er über ausgezeichnete Algorithmen, die auch schwache Erinnerungsspuren ausfilterten. Man hatte über die Jahrhunderte mit statistischen Modellen alle Muster der Erinnerungsspeicherung in zehn Milliarden menschlicher Gehirne studiert und die Strukturen mit den jeweils gemachten Erfahrungen abgeglichen. Bestimmte Eindrücke schlugen sich immer wieder in ähnlichen Neuralstrukturen nieder, so genannten internen Qualia, den Grundbausteinen, aus denen sich komplexere Erinnerungen zusammensetzten. Diese Qualia waren mit ganz wenigen Ausnahmen von Bewusstsein zu Bewusstsein verschieden, aber die Unterschiede in der Codierung waren nicht gravierend, denn die Natur wich niemals allzu weit von dem Lösungsweg mit dem geringsten Energieverbrauch ab. Mit den statistischen Modellen ließen sich nicht nur diese Qualia-Muster zuverlässig identifizieren, sondern auch die Verbindungen zwischen ihnen abbilden, die die Bausteine zu Erinnerungen zusammenschmiedeten. Sajaki brauchte also nur genügend Qualia-Strukturen zu identifizieren und genügend hierarchische Verbindungen zwischen ihnen abzubilden. Wenn er dann seine Algorithmen darauf ansetzte, gab es im Grunde nichts, was er nicht über sie erfahren konnte. Er konnte nach Belieben in ihren Erinnerungen wühlen.
Das Gerät gab Alarm. Sajaki schaute auf eines der Displays. Khouris Implantate waren glutrot geworden; das Rot griff bereits auf umliegende Gehirnzonen über.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Induktionswärme«, sagte Sajaki gleichmütig. »Ihre Implantate sind ein wenig heiß geworden.«
»Sollten Sie dann nicht aufhören?«
»O nein, noch nicht. Volyova hat sie sicher gegen elektromagnetische Impulse geschützt. Da richtet eine kleine thermische Überlastung keine irreparablen Schäden an.«
»Aber ich habe Kopfschmerzen… ich glaube nicht, dass das normal ist.«
»Das halten Sie spielend durch, Khouri.«
Die pochenden Migräneschmerzen waren ganz plötzlich auf getreten, aber jetzt waren sie so unerträglich, als stecke ihr Kopf in einem Schraubstock und Sajaki drehe ihn immer fester zu. Der Hitzestau in ihrem Schädel musste sehr
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