Unendlichkeit
gehalten, die Sylvestes Vorstellungsvermögen überstieg. Wie auch immer; zwanzig Kilometer unter ihm befand sich der sternenübersäte Boden und darauf fiel er zu.
>
Sajakis Anzug war nicht schwer zu finden. Nachdem Sylveste den einsamen Weg nach unten angetreten hatte, tat sein eigener noch funktionsfähiger Anzug alles, was nötig war. Er peilte die Signatur seines abgestürzten Gefährten an (von dem irgendetwas folglich doch überlebt haben musste), steuerte Sylveste darauf zu und landete nur wenige Meter davon entfernt. Der Triumvir war hart aufgeschlagen, das war nicht zu übersehen. Aber wie konnte es denn auch anders sein, wenn man aus zweihundert Kilometern Höhe ungebremst abstürzte? Er schien sich ein Stück weit in den Metallboden gebohrt zu haben, bevor er noch einmal abgeprallt und schließlich mit dem Gesicht nach unten liegen geblieben war.
Sylveste hatte nicht erwartet, Sajaki lebend anzutreffen, aber der Anblick des zerschmetterten Anzugs schockierte ihn doch; er erinnerte an eine Porzellanpuppe, die dem Trotzanfall eines ungezogenen Kindes zum Opfer gefallen war. Der Anzug war gezeichnet von Rissen, Schrammen und Verfärbungen, wahrscheinlich Spuren des Kampfes und des anschließenden Sturzes, in dessen Verlauf ihn der Coriolis-Effekt immer wieder gegen die Schachtwände geschleudert hatte.
Sylveste drehte Sajaki mit Hilfe seiner Anzugverstärker auf den Rücken. Was ihn erwartete, war sicher nicht angenehm, aber er musste sich damit konfrontieren. Er musste dieses Kapitel im Geist abschließen, um weitermachen zu können. Er hatte für den Triumvir von jeher nur Abneigung empfunden, die lediglich dadurch gemildert wurde, dass ihm die Intelligenz und der blinde Starrsinn, mit dem ihn der andere jahrzehntelang gesucht hatte, so etwas wie Respekt abnötigten. Mit Freundschaft hatte das nicht das Geringste zu tun; eher mit der Bewunderung des Fachmanns für ein Werkzeug, das seine Aufgabe überdurchschnittlich gut erfüllte. Genau das war Sajaki, dachte Sylveste, ein scharf geschliffenes Werkzeug; hervorragend geeignet für einen, aber eben auch nur für diesen einzigen Zweck.
Ein daumenbreiter Sprung teilte die Sichtscheibe des Raumanzugs. Sylveste fühlte sich wie magisch davon angezogen. Er kniete nieder und beugte sich über das Gesicht des Toten.
»Es tut mir Leid, dass es so enden musste«, sagte er. »Ich will nicht behaupten, dass wir jemals Freunde gewesen wären, Yuuji – aber am Ende war es mir wohl ebenso wichtig, Ihnen zu zeigen, was vor uns lag, wie ich es selbst sehen wollte. Ich denke, Sie hätten es zu würdigen gewusst.«
Erst jetzt sah er, dass der Anzug leer war. Er war nur einer leeren Hülle gefolgt.
Khouri hatte Folgendes beizutragen.
Jahrtausende, nachdem die Verbannten aus dem Hauptstrom der amarantinischen Kultur ausgebrochen waren, erreichten sie den Rand des Sonnensystems. Dass es so lange dauerte, lag in der Natur der Sache. Sie hatten nicht nur gegen die Grenzen der Technik anzukämpfen, sondern auch gegen die Zwänge, die ihre eigene Psychologie ihnen auferlegte, und diese Barrieren waren nicht leichter zu überwinden.
Zunächst bewahrten die Verbannten noch den Schwarminstinkt ihrer Artgenossen. Sie hatten sich zu einer Gesellschaft entwickelt, die sich stark auf visuelle Verständigungsformen stützte und streng geordnete, große Kollektive förderte, in denen das Individuum hinter dem Wohl des Ganzen zurückstehen musste. Wurde ein einzelner Amarantin aus seinem Schwarm ausgeschlossen, so verfiel er in eine Psychose, die gleichbedeutend war mit massiver sensorischer Deprivation. Selbst kleine Gruppen reichten nicht aus, um den Schrecken zu bannen, und daraus folgte, dass die amarantinische Kultur ausnehmend stabil war; ungemein widerstandsfähig gegen Intrigen und Verrat von innen. Aber daraus folgte weiterhin, dass die Verbannten allein durch ihre Isolation zu einer Form von Wahnsinn verdammt waren.
Das akzeptierten sie nicht nur, sie arbeiteten damit. Sie veränderten sich; kultivierten ihre Soziopathie. Schon nach wenigen hundert Generationen waren sie kein Schwarm mehr, sondern hatten sich in Dutzende von spezialisierten Nestgemeinschaften aufgespalten, von denen jede ihrer ganz besonderen Form des Wahnsinns frönte. Jedenfalls hätten es die daheim Gebliebenen als Wahnsinn betrachtet…
Die Fähigkeit, auch in kleineren Gruppen zu funktionieren, ermöglichte es den Verbannten, sich über die Region hinaus, in der eine Kommunikation per
Weitere Kostenlose Bücher