Unendlichkeit
anderen waren die Erscheinungen unsichtbar, und die Verständigung ging lautlos vonstatten.
»Sagen wir, ich will alles wissen«, hatte der Geist erklärt. »Ihnen als ehemaligem Soldaten sollte dieser Wunsch nicht fremd sein.«
Khouri ergab sich in ihr Schicksal. »Ich kann ihn verstehen. Die Sache stinkt zum Himmel, aber ich nehme nicht an, dass Sie mir das verdammte Ding nur deshalb wieder herausnehmen werden, weil ich es nicht mag.«
Die Mademoiselle lächelte. »Ich möchte Sie im Moment nicht mit allzu viel Wissen belasten, um die Gefahr von unbedachten Äußerungen in Gegenwart der Ultras möglichst gering zu halten.«
»Moment mal«, sagte Khouri. »Ich weiß bereits, dass ich Sylveste töten soll. Was könnte es sonst noch für Geheimnisse geben?«
Wieder zeigte die Mademoiselle dieses aufreizende Lächeln. Wie viele Beta-Sims verfügte sie nur über eine beschränkte Auswahl an mimischen Variationen, so dass sie sich wie ein schlechter Schauspieler ständig wiederholte.
»Ich fürchte«, sagte sie, »Sie kennen noch nicht einmal einen Bruchteil der Geschichte. Was Sie wissen, ist nicht mehr als ein winziger Splitter.«
Als Pascale kam, studierte Sylveste ganz bewusst ihre Gesichtszüge und verglich sie im Geiste mit denen von Nils Girardieu. Wie üblich setzte ihm sein Sehvermögen dabei enge Grenzen. Seine Augen hatten Schwierigkeiten, gewölbte Flächen zu erfassen, und neigten dazu, die sanften Rundungen eines menschlichen Gesichts scharfkantig abzustufen.
Calvins Behauptung war nicht so ohne weiteres zu widerlegen. Zwar hatte Pascale glattes Haar von biblischem Schwarz, Girardieu dagegen rote Locken. Aber der Knochenbau wies Übereinstimmungen auf, die über eine zufällige Ähnlichkeit hinausgingen. Ohne Calvins Hinweis wäre Sylveste vielleicht nie darauf gekommen… aber nun hatte er Verdacht geschöpft und dieser Verdacht erklärte nur allzu viel.
»Warum haben Sie mich belogen?«, fragte er.
Sie schien aufrichtig erschrocken. »Inwiefern?«
»In allem. Angefangen mit Ihrem Vater.«
»Mein Vater?« Sie war kleinlaut geworden. »Aha. Sie wissen also Bescheid.«
Er presste die Lippen zusammen und nickte. Dann: »Das war eines der Risiken einer Zusammenarbeit mit Calvin. Er ist sehr klug.«
»Er muss irgendwie eine Datenverbindung zu meinem Notepad aufgebaut und auf meine persönlichen Daten zugegriffen haben. Dieser Dreckskerl.«
»Jetzt wissen Sie, wie mir zumute ist. Warum haben Sie das getan, Pascale?«
»Anfangs hatte ich keine andere Wahl. Ich wollte Sie studieren, und ohne meinen wirklichen Namen zu verleugnen, hätte ich niemals Ihr Vertrauen gewonnen. Möglich war es: nur wenige Menschen wissen überhaupt von meiner Existenz und noch weniger kennen mein Aussehen.« Sie hielt inne. »Und es hat doch geklappt, nicht wahr? Sie haben mir vertraut. Und ich habe Ihr Vertrauen nicht missbraucht.«
»Ist das auch wirklich wahr? Haben Sie Nils nie etwas verraten, was ihm hätte nützen können?«
Sie sah ihn gekränkt an. »Man hatte Sie vor dem Umsturz gewarnt, wissen Sie nicht mehr? Wenn jemand betrogen wurde, dann war es mein Vater.«
Er suchte eher halbherzig nach Argumenten, um ihre Sicht der Dinge zu widerlegen. Vielleicht hatte sie ja Recht. »Und die Biografie?«
»Das war die Idee meines Vaters.«
»Ein Mittel, um mich in Verruf zu bringen?«
»Die Biografie enthält nur die reine Wahrheit – oder Sie wissen mehr als ich.« Sie hielt inne. »Inzwischen ist sie fast reif zur Veröffentlichung. Calvin war mir eine große Hilfe. Sind Sie sich im Klaren darüber, dass diese Biografie das erste größere literarische Werk ist, das auf Resurgam verfasst wurde? Natürlich nach den Amarantin.«
»Und sie ist tatsächlich ein Kunstwerk. Wollen Sie unter Ihrem richtigen Namen veröffentlichen?«
»So war es von vornherein geplant. Ich hatte natürlich gehofft, dass Sie mir nicht vorher auf die Schliche kommen würden.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Unsere gemeinsame Arbeit wird dadurch nicht beeinträchtigt, glauben Sie mir. Schließlich wusste ich immer, dass Nils als Autor im Hintergrund steht.«
»Das macht es Ihnen leichter, nicht wahr? Meiner Arbeit jegliche Bedeutung abzusprechen?«
»Haben Sie die Daten, die Sie mir versprochen hatten?«
»Ja.« Sie reichte ihm eine Karte. »Ich pflege Wort zu halten, Doktor. Aber ich fürchte sehr, dass ich jetzt auch noch den letzten Rest von Respekt vor Ihnen verliere.«
Sylveste nahm die Karte zwischen Daumen und Zeigefinger
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