Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
unterbrach sie Scholeh. »Lasst uns erst den Wagen parken. Ich will euch begleiten. Wer weiß, ob der Mann überhaupt Englisch spricht.«
Nachdem wir den Wagen auf einem kleinen Parkplatz abgestellt hatten, folgten wir Scholeh in Richtung Kabine. Sie erreichte das Sprechgitter als Erste und begann mit dem Wachmann einige Fragen und Antworten auszutauschen. Ich versuchte derweil mit zaghaftem, aufgesetztem Lächeln den Seitenblicken des Beamten standzuhalten. Schließlich verstummte er, während sein Zeigefinger auf ein Gebäude in der Nähe wies.
»Er sagt, dort müsst ihr euch anmelden«, erklärte uns Scholeh. »Dann mal los!«
Kurz darauf befanden wir uns in einem fensterlosen Raum mit kahlen hohen Wänden, an denen eine Reihe dunkler Stühle stand. Fast alle waren mit Menschen verschiedener Haut- und Haarfarben besetzt, die wild durcheinanderredeten. Nachdem wir uns gesetzt hatten, musterte ich sie genauer. Ein junger Mann mit zerschlissenen Jeans und einem dreckigen Pullover, auf den russische Schriftzeichen gedruckt waren, rieb sich unablässig die Schläfen und stand ab und zu auf, um mit lauter Stimme etwas zu rufen. Ein buckliger Mann in einem abgewetzten Anzug murmelte vor sich hin und ließ die Perlen einer Gebetskette durch seine Finger gleiten. Eine alte Frau mit feuerrotem Haar kramte in ihrer Handtasche und holte einen Handspiegel hervor, um sich kritisch darin zu betrachten. Schließlich blieb mein Blick an einem großen kräftigen Mann mit schwarzer Haut hängen. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Neugierig schaute ich zu ihm herüber. In Teheran gab es keine Schwarzen und ich war ihnen bisher nur in Kinderbüchern begegnet. In den Geschichten waren sie meist Medizinmänner oder einsame Inselbewohner. Ich fragte mich, wie müde er sein musste, dass er bei dem lauten Stimmengewirr schlafen konnte.
Plötzlich vernahm ich aus dem chaotischen Gelärme eine bekannte Stimme: »Ding, dang, dong!« Ich drehte mich nach ihr um und sah Masoud. Er äffte einen asiatisch aussehenden Mann nach, der hektisch auf seine Frau einredete. Als er seine Vorführung auch noch mit theatralischen Grimassen untermalte, konnten Milad und ich uns nicht mehr halten und begannen aus vollem Hals zu lachen. Ich tippte Madar an, um ihr Masouds verzogenes Gesicht zu zeigen, aber sie reagierte nicht und blieb konzentriert über das Klemmbrett auf ihren Knien gebeugt. Man hatte ihr Formulare gegeben, die sie nun mit Scholehs Hilfe auszufüllen versuchte. Ich verstummte mit einem schlechten Gewissen. Hilf ihr lieber! , mahnte eine innere Stimme. Doch egal, wie ich mich anstrengte, konnte ich das meiste nicht verstehen. Ich erkannte nur, wie Madar unsere Namen, unser Alter und unseren bisherigen Wohnort, Teheran, aufschrieb. Es war seltsam: Als würde sie freiwillig einen Vertrag unterzeichnen, der uns die Rückkehr nach Hause verbot. Bei diesem Gedanken überkam mich ein Gefühl von Leere. Ganz so, als hätte jemand etwas tief aus meiner Brust herausgerissen.
Ich lehnte mich an Madars Schulter und schloss die Augen. So vergingen Minuten und bald sank ich in einen leichten Schlummer. Aus der Dunkelheit stiegen Bilder auf. Ich sah Masoud, Milad und Farroch, wie sie in Ekbatan auf einem Hof Fußball spielten. Sie riefen sich gegenseitig zu, kickten den lila Plastikball hin und her und klatschten und brüllten »Tor!«, wenn der Ball zwischen den Füßen einer steinernen Bank gelandet war. Ich fragte sie, ob sie Lust hätten, mit mir zum Bäcker zu laufen. Madar hatte mir nämlich dreißig Toman in die Hand gedrückt, damit ich ein Barbari kaufte. Und natürlich kamen sie mit, denn der Weg zu der Straße mit den vielen kleinen Geschäften glich einem Hindernislauf: Rennend wichen wir den anderen Fußgängern aus, sprangen über Büsche und Zäune und jeder versuchte, am schnellsten den Bäcker zu erreichen. Vor der Bäckerei erwartete uns eine lange Schlange – wie immer um diese Uhrzeit. Wir reihten uns ein hinter Frauen in dunklen Tschadors und Männern mit schlichten Hemden und Stoffhosen. Der wunderbare Duft von frischem Brot ließ das Wasser in unseren Mündern zusammenlaufen und stellte unsere Geduld auf eine harte Probe. Endlich waren wir dran, und kaum hatte uns der dickbäuchige, von Kopf bis Fuß mit Mehl bedeckte Bäcker ein Barbari gegeben, da rissen Masoud und Milad zwei Stücke davon ab. Als ich das Wechselgeld in die Tasche steckte, schnappte sich schließlich Farroch das Brot und rannte
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