Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
»Er wird uns nach Deutschland bringen. Batscheha , es ist sehr wichtig, dass ihr euch alles gut merkt, was ich jetzt sage.« Sie schaute uns nacheinander in die Augen und wir nickten. » Agha Reza wird sich als mein Ehemann und euren Vater ausgeben. Er hat die Pässe dabei und wir werden den Beamten sagen, dass wir gemeinsam in den Urlaub fliegen. Versucht so entspannt wie möglich auszusehen. Wenn wir im Flugzeug sind, haben wir es endlich geschafft!«
»Unser Vater …«, murmelte ich in die Runde. »Unser Vater hätte uns zumindest gegrüßt.« Milad und Masoud nickten stumm.
Ich erinnerte mich an unseren letzten Flug. Vor ungefähr zwei Jahren waren wir mit Madar und Pedar in den Süden Irans an den Persischen Golf geflogen, um wirklich Urlaub zu machen. Alle waren zum Flughafen gekommen, weil sie uns verabschieden wollten: Mamani, Babai, Da-i Ali und unsere Tante Chaleh Mojdeh. Sogar Farroch war mitgefahren, denn er wollte unbedingt Flugzeuge sehen. Damals hatten wir viel gelacht und uns darauf gefreut, später von unseren Abenteuern im Urlaub erzählen zu können.
Doch heute lachte keiner. Stumm und allein warteten wir in dieser kahlen Halle darauf, mit einem Fremden nach Deutschland zu fliegen. Wir mussten diejenigen, die wir liebten, und unsere Tschar-tscharche zurückzulassen. Wir sollten mit nur ein paar Habseligkeiten in einem Koffer dorthin fliegen, wo wir niemanden kannten und wo uns niemand verstehen würde. Madars Worte fielen mir ein: »Dieses Land ist nicht gut für euch.« Aber würde Deutschland besser für uns sein?
Ich schaute mich um und mein Blick blieb am Ausgang hängen. Es war die letzte Gelegenheit, um kehrtzumachen. Doch wohin würde ich gehen? Milad, Masoud und Madar waren die wichtigsten Menschen in meinem Leben und sie standen kurz davor, in eine andere Welt zu fliegen. Nein, ich würde sie niemals allein lassen.
Kurz darauf ging es los: Wir gaben unser Gepäck auf und gingen zur Passkontrolle. Mein Herz raste und ich wollte weinen, riss mich aber zusammen. Ohne große Fragen gab man uns unsere Pässe zurück und winkte uns weiter. Schon bald darauf betraten wir das Flugzeug. Ich bekam einen Fensterplatz, während Masoud und Milad neben mir saßen. Madar und Agha Reza hatten in der Reihe hinter uns Platz genommen.
Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster. Das Flugzeug rollte los und Gebäude, parkende Maschinen und Angestellte, die sie mit Gepäck beluden, zogen an mir vorbei. Ich fragte mich, ob ich jemals wieder in den Iran zurückkehren würde. In diesem Moment bückte sich Madar über unsere Sitze und flüsterte zu uns: »Gestern Abend habe ich noch schnell etwas eingepackt.« Ich drehte mich zu ihr um und sah in ihren Händen die Scheiben, die ich an die Tschar-tscharche angebracht hatte. Ich konnte es nicht glauben. Es war, als würde sie mir etwas zeigen, das ich vor langer Zeit verloren hatte. Hastig griff ich danach, gab Milad und Masoud ihre Scheiben und erklärte ihnen, was es damit auf sich hatte.
Als das Flugzeug mit einem jähen Ruck abhob, hielt ich die rote Holzscheibe fest in meiner Hand. Es führte kein Weg mehr zurück – nicht in unsere Wohnung zum Taschenlampenspiel, nicht nach Ekbatan zum Fahrradrennen, noch nicht einmal in den Hof mit dem Rosenbeet. In wenigen Stunden würden wir in Deutschland landen. Und Fremde ohne ein Zuhause sein.
2
Willkommen in Deutschland?
MOJTABA »Schaut her! Los! Guckt euch diesen Riesenflieger an«, rief Milad, streckte seinen Arm aus dem heruntergekurbelten Fenster und wies mit dem Zeigefinger auf ein weißes Flugzeug am blauen Sommerhimmel, das sich im Anflug auf Hannover befand. Seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung und der warme Fahrtwind zerzauste sein Haar. Masoud und ich beugten uns hinüber zum Fenster und stützten uns dabei auf Milads Oberschenkel ab.
»Aua«, stieß er aus, »macht euch nicht so breit!«
»Boah, ist das eine Riesenmaschine. Viel größer als unser Flugzeug«, stellte Masoud beeindruckt fest.
»Du Quatschkopf«, widersprach ich ihm und fügte in herablassendem Tonfall hinzu: »Verglichen mit unserem ist das ein Miniflugzeug.« Es war das erste Mal, dass wir so lange geflogen waren, und ich war der festen Ansicht, dass das Flugzeug, das uns über so viele Länder, Meere und Gebirge bis nach Deutschland gebracht hatte, das größte der Welt sein musste.
»Das stimmt nicht. Das sieht nur aus dieser Entfernung so klein aus«, verteidigte Masoud seine Einschätzung. »Madar, was
Weitere Kostenlose Bücher