Ungeahnte Nebenwirkungen
sondern einfach so nach attraktiven Frauen Ausschau zu halten. Vielleicht entdeckte sie ja entgegen aller Erwartungen eine Perle?
»Oh, sorry!« Die Frau neben ihr musste Nicole anschreien, damit diese sie bei dem Höllenlärm, der inzwischen den Raum durchflutete, überhaupt hören konnte.
Nicole wandte sich um, um zu sehen, wer sie angerempelt hatte. Die Frau, die sie entschuldigend anlächelte, machte einen sehr sympathischen Eindruck, stellte Nicole positiv überrascht fest. Blondes, langes Haar und eisblaue Augen, wow! Wahrscheinlich ein Direktimport aus Schweden, dachte Nicole, während sie ihren Blick über die schlanke Figur der anderen wandern ließ.
Die Blonde bückte sich, um den Gegenstand, ein kleines Täschchen, das ihr zu Boden geglitten war, aufzuheben. Knackiger Po! fuhr es Nicole durch den Kopf. Sie rief sich sofort energisch zur Ordnung. Was machte sie da? Sie begutachtete eine Frau wie ein Stück Fleisch in der Auslage! War sie innerhalb von Sekunden etwa zum Macho mutiert? Andererseits, sagte sie sich, taten nicht alle hier dasselbe?
»Es tut mir leid, dass ich dich gerammt habe«, entschuldigte sich die andere wieder und holte Nicole damit in die lärmige Realität zurück.
»Kein Problem«, antwortete Nicole etwas verlegen. Die Frau gefiel ihr, sie gefiel ihr sogar sehr.
»Carmen«, brüllte ihr die Blonde ins Ohr.
Carmen? Das war doch eine Oper, oder nicht? »Auf in den Kampf, Torero«, aber warum nannte sie eine Oper? Das passte doch überhaupt nicht zu der Art Musik, die aus monumentalen Lautsprechertürmen auf die zappelnde Masse von Frauen hinunterschallte.
Nicole schüttelte den Kopf. Sie hatte irgendwie den Anschluss verpasst. Die andere lachte, jedenfalls ließ ihr Gesichtsausdruck dies vermuten.
»Ich heiße Carmen«, informierte sie die hilflos dreinblickende Nicole. »Und wer bist du?« schob sie die selbstverständliche Frage hinterher.
Ach, so, natürlich! Nicole riss sich zusammen. »Ich bin Nicole«, antwortete sie mit soviel Lautstärke, dass Carmen ein Stück zurückwich.
»Lass uns einen stilleren Ort suchen«, schlug der vermeintliche Import mit spanischem Vornamen vor, der sich allerdings ganz und gar deutsch anhörte.
Nicole nickte. Carmen griff nach ihrer Hand und führte sie sicher zwischen den erhitzten und dichtgedrängten Frauenkörpern hindurch. Etwas verwirrt registrierte Nicole, dass sie keine Frau auch nur ansatzweise anrempelte. Hatte Carmen etwa plötzlich einen besonderen Sensor entwickelt, der Zusammenstöße verhinderte?
Die Ecke, die Carmen angesteuert hatte, war tatsächlich fast lauschig im Vergleich zum offenen Raum. Sie fanden ein Tischchen, das verschmäht ganz hinten vor sich hindämmerte. Aufatmend setzten sich die beiden Frauen auf die wackligen Hocker, die das gleiche traurige Dasein zu fristen schienen wie der Tisch, dessen Deckblatt unverkennbare Spuren eines langen und ausschweifenden Lebens zeigte.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Carmen mit normaler Lautstärke, die hier mühelos verstanden werden konnte. Ehe Nicole zu einer Erwiderung ansetzen konnte, verschwand die Blondine auch schon wieder im Getümmel am Rand der Tanzfläche.
»So ist’s doch gleich viel gemütlicher«, meinte Carmen mit einem Lächeln, das ihre perfekten weißen Zähne wieder zum Vorschein brachte, und stellte zwei in allen Regenbogenfarben leuchtende Drinks auf den Tisch.
Nicole konnte sich nicht festlegen, welcher Frage sie sich zuerst zuwenden sollte: A) War das Weiß der Zähne wirklich echt? Oder B) Welche kriminellen Stoffe beinhaltete der Drink?
Carmen nahm ihr die Entscheidung ab. Sie hob auffordernd ihr Glas. »Auf unsere Bekanntschaft!« flüsterte sie mit einem weichen Unterton in der Stimme.
Nicole erwiderte die Geste, zu einem Toast konnte sie sich aber nicht durchringen. Das Tempo, das Carmen vorlegte, schien ihr ziemlich hoch. Und hatte sie nicht eigentlich nach einer gewissen Dr. med. dent. Schiesser Ausschau halten wollen? Andererseits, Mirjam wich ihr sowieso aus und schien den Teil der Nacht, den sie gemeinsam verbracht hatten, aus ihrem Gedächtnis eliminiert zu haben.
Der Drink schmeckte gut. Nicole genehmigte sich gleich noch einen zweiten Schluck des süßlichen Getränks, das zweifelsohne einen großen Anteil gefährlichen Alkohols enthielt.
Carmen neigte sich über den Tisch und griff nach Nicoles Hand. »Keine Angst, der Drink läuft dir nicht weg«, versicherte sie lachend. Dann ließ sie die Hand, die zu brennen begonnen
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