Ungeahnte Nebenwirkungen
blieb donnerstags geschlossen. Nur deshalb waren sie länger im Bett geblieben, als es der Wecker erlaubt hatte. Bei der Erinnerung der gestohlenen Stunden stieg in Nicole ein sehnsüchtiges Kribbeln auf. Würde Mirjam zu Hause sein, wenn sie Feierabend hatte? Versprechen lagen der Zahnärztin nicht sonderlich, wie Nicole wusste, deshalb hatte sie sie auch nicht danach gefragt oder sie um eine Zusage gebeten.
»Erde an Nicole, Erde an Nicole! Ist da jemand?« Helen klopfte mit ihrer Faust leicht an Nicoles Kopf.
»Schon gut, ich hör’ dich«, antwortete Nicole durch ihre Gedanken abgelenkt.
Helens Grinsen ließ sie erröten. »Da ist wohl jemand verliebt?« mutmaßte die Freundin.
Nicole nickte. Es stimmte, sie war verliebt – und wie, seufzte sie still – aber wie stand es um Mirjam?
»Komm schon, verrate mir, wer es ist!« hakte Helen neugierig nach.
»Sie«, sagte Nicole bloß.
»Sie? Wer ist sie?« Logisch, Helen wusste nichts über Nicoles Achterbahnfahrt der Gefühle, die sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte.
Helen dachte angestrengt nach. Sie hakte in Gedanken die möglichen Kandidatinnen ab. Damit war sie ziemlich schnell fertig, denn die Zahl der Frauen, für die sich Nicole in den vergangenen zwei Jahren interessiert hatte, war gleich Null, zumindest nach ihrem aktuellen Wissensstand.
Plötzlich lachte Helen ungläubig auf. »Du warst mit der Zahnärztin im Bett?« fragte sie fassungslos.
Wieder nickte Nicole. Was daran so komisch sein sollte, konnte sie nicht nachvollziehen, doch Helen schüttelte sich vor Lachen.
»Wie hast du gesagt? Das wird schon!« meinte Helen glucksend. Sie umarmte ihre Freundin und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ist das nicht toll? Jetzt haben wir beide die Frau, die wir wollen!« jubelte sie.
Daran zweifelte Nicole allerdings. Zwar wusste sie von sich, dass sie mehr als nur ein wenig in Mirjam verliebt war und der heutige Morgen hatte ihr auch gezeigt, dass es mehr als schön wäre, wenn Mirjam zu einem Teil ihres Lebens würde. Doch da hingen so viele Fragen in der Luft, die geklärt werden mussten.
Sie kannte Mirjam auch nach den vielen gemeinsamen Orgasmen nicht besser als vor einigen Wochen. Aber Mirjam kam ihr keinen Schritt entgegen. Nicole vertraute ihrem Gefühl und ihrer Geduld. Vor allem von letzterer Eigenschaft würde sie ziemlich viel brauchen, soviel hatte sie inzwischen begriffen. Sie fragte sich nicht zum ersten Mal, ob Mirjam es überhaupt wert war, dass sie sich um sie bemühte.
»Frau Dupont«, forderte die Assistentin sie auf.
Nicole erhob sich aus ihrem Sessel und folgte der jungen Frau ins Behandlungszimmer. Sie freute sich darauf, Mirjam wiederzusehen, obwohl seit ihrem Abschiedskuss noch gar nicht soviel Zeit vergangen war.
Mirjam hatte am Donnerstag wirklich auf sie gewartet. Die Zahnärztin war einkaufen gewesen und hatte für sie beide ein Abendessen auf den Tisch gezaubert, das allein schon Grund genug gewesen wäre, um sie zu werben. Sie hatten sich unterhalten. Zum ersten Mal sprachen sie wirklich miteinander, doch leider war das Thema, das sich Mirjam für ihr Gespräch ausgesucht hatte, meilenweit von ihrem Leben oder ihrer Beziehung – oder wie auch immer man das nennen mochte, was sich da zwischen ihnen abspielte – entfernt.
Nicole sah ihre Vermutung bestätigt, dass Mirjam sowohl intelligent als auch humorvoll war. Sie hatte ihr zugehört und sich noch ein wenig mehr, wenn das überhaupt im Bereich des Möglichen lag, in sie verliebt. Vielleicht reichte es ja auch, wenn sie verliebt war, dachte sie. Vielleicht brachte sie genug Gefühl für sie beide auf?
»Hallo, Süße!« begrüßte Mirjam sie lächelnd. Sie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und kam auf den Zahnarztsessel zu, auf dem es sich Nicole schon bequem gemacht hatte. Sie küßte Nicole leicht auf die Lippen, ihre Augen strahlten sie an.
»Bitte öffnen«, sagte die Zahnärztin nach der überraschend intimen Begrüßung.
»Was denn?« fragte Nicole neckisch. »Deine Bluse?«
Mirjam hob die Augenbrauen. Ihre Wangen zeigten verlegene Röte. »Du hast es bemerkt?« wollte sie wissen und setzte sich auf ihren Hocker, den sie nahe an Nicole heranschob.
»Ich habe mich tatsächlich gefragt, ob du alle deine Patienten so offenherzig empfängst«, erklärte Nicole amüsiert.
Mirjam schüttelte entrüstet den Kopf. »Nein, wo denkst du hin!« wehrte sie ab. »Aber du – ich weiß nicht«, sie unterbrach sich und musterte
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