Ungeahnte Nebenwirkungen
Baustelle in deinem Mund doch noch genauer ansehen«, meinte Mirjam schließlich. Sie sah auf die Uhr. »Eigentlich müsstest du längst wieder draußen sein«, stellte sie errötend fest.
Nicole schloss die Augen, während Mirjam behutsam die Operationsnarben prüfte. Nach kurzer Zeit sagte sie zufrieden: »Alles in Ordnung. Die Behandlung ist abgeschlossen.« Nach einer Pause fragte sie: »Sehen wir uns heute Abend?«
Nicole nickte. Sie erhob sich aus dem Sessel und küßte Mirjam leicht auf den Mund. »Ich warte auf dich«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
Ich werde so lange auf dich warten, bis du wirklich zu mir kommst, fügte sie in Gedanken hinzu. Für den Moment reichte es, zu wissen, dass Mirjam weiterhin zu ihrem Leben gehörte. Alles andere würde sich ergeben, dachte sie zuversichtlich.
~*~*~*~
G emütlich, bequem, fast schon perfekt fühlte sich die Affäre an, die zwischen Mirjam und Nicole bestand. Mirjam ging in Nicoles Wohnung ein und aus, so als ob sie dort zu Hause wäre. Täglich telefonierten die beiden Frauen miteinander, meistens sahen sie sich zu einem Kaffee in der Mittagspause, und oft kam Mirjam zu Nicole und blieb manchmal über Nacht.
Fast perfekt, dieses Arrangement, dachte Nicole, doch für wen eigentlich? Sie wusste auch nach drei Wochen »Beziehung« nicht wesentlich mehr über ihre Geliebte als vorher. Sollte sie vielleicht ein paar Fragen stellen? Wenn sie etwas über Mirjam erfahren wollte, wäre das wahrscheinlich der richtige Weg zur Information – bei jeder anderen Frau, nur nicht bei Mirjam. Eine Auster erschien im Vergleich zur Zahnärztin wie eine Plaudertasche! Nicht, dass sie sich angeschwiegen hätten, aber in den Zeitungen standen immer genügend Dinge, über die frau sich unterhalten konnte, ohne persönliche Bereiche anzutasten.
Fast perfekt, dachte Nicole wieder. Sie hatte sich doch immer eine Frau gewünscht, mit der sie schweigen konnte! Sie hatte sich auch immer eine Frau gewünscht, die im Bett ihre Wünsche äußerte und ihre, die sie hatte, befriedigte. Dies alles hatte sie jetzt schon beinahe im Übermaß. Sie lebten in einer lockeren Beziehung mit vielen Freiheiten, da keine von beiden die andere nach ihren Plänen, nach ihrer Vergangenheit oder nach Bezugspersonen fragte. Doch war das überhaupt eine Beziehung?
»Was soll dieses bekümmerte Gesicht bedeuten?« fragte Helen, die von Nicole unbemerkt das Büro betreten hatte.
Nicole seufzte. »Ich dachte eben an Mirjam«, erklärte sie.
»Und das veranlasst dich, ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter zu ziehen? Ich dachte, sie wäre deine Traumfrau?«
Nicole nickte. »Das stimmt schon. Ich weiß nur nicht, woran ich mit ihr bin. Was ich für sie bin!« erklärte sie.
»Dann frag sie doch«, riet ihr Helen pragmatisch.
Soweit war Nicole selbst auch gekommen. Sie scheute nicht die Fragen und auch die Antworten würde sie zur Kenntnis nehmen, aber sie vermutete, dass sie von Mirjam gar keine Antworten erhalten würde. ›Verlassen, weil sie zu neugierig war‹, das wollte sie nicht in ihrem Nachruf lesen. Lieber würde sie noch eine Weile vor sich hinschmoren, irgendwann musste Mirjam doch selbst darauf kommen, dass sie sich mehr zu sagen hatten als die platten Alltäglichkeiten.
»Schatz, komm her! Das musst du dir ansehen!« rief Nicole in die Wohnung.
Mirjam ließ die Zeitung sinken und trat hinter Nicole, die an der Terrassentür stand. Sie umschlang sie von hinten und blickte ihr interessiert über die Schulter.
»Oh, das sieht wirklich toll aus!« entfuhr es ihr beim Anblick des Sonnenuntergangs, der den Himmel aussehen ließ, als stünde er in Flammen.
Nicole lehnte sich an Mirjam, genoss ihre Wärme, ihre inzwischen beinahe selbstverständliche körperliche Nähe. »Ist das nicht einfach schön?« fragte sie.
Mirjam in ihrem Rücken nickte. »Ja, fast wie in Japan«, murmelte sie.
Überrascht drehte sich Nicole um. Sie verkniff sich die Frage, die ihr auf der Zunge lag, als sie Mirjams Gesichtsausdruck sah. In sich gekehrt und völlig abwesend stand sie da, starrte auf die glühend rote Sonne und schien sich in einer anderen Welt zu befinden. Ein kaum wahrnehmbarer Schatten legte sich auf ihr Gesicht, sie schloss die Augen und drehte sich abrupt um.
»Was möchtest du heute Abend unternehmen?« fragte Mirjam ohne Zusammenhang.
Nicole, absorbiert von ihren Gedanken, vermochte dem plötzlichen Stimmungswechsel nicht zu folgen. Sie hob fragend die Schultern.
»Es ist Samstag«, betonte
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