Ungeahnte Nebenwirkungen
die Augenlider und dann auf den Mund. Es war ein fragender Kuss, den Mirjam mit unerwarteter Sanftheit erwiderte. »Ich liebe dich, Mirjam«, flüsterte Nicole. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Endlich hatte sie es gesagt. Zum ersten Mal hatte sie es ihr gesagt.
Mirjam reagierte nicht. Sie lehnte sich an Nicole, rührte sich nicht. Jetzt hat es ihr die Sprache verschlagen, vermutete Nicole. Ob sie überhaupt verstanden hatte, was sie ihr eben gestand?
»Nicole, ich mag dich, das sagte ich dir schon. Aber Liebe? Nein, das geht nicht, ich kann dich nicht lieben«, flüsterte Mirjam traurig.
Sie löste sich aus der Umarmung, setzte sich wieder auf die Couch und blickte Nicole an, als verkörperte sie alles Unglück dieser Erde.
»Wieso nicht, Mirjam?« fragte Nicole verzweifelt. »Was hindert dich daran, mich zu lieben? Nenn mir einen Grund, weshalb nicht! Was mache ich falsch?«
Mirjam runzelte ärgerlich die Stirn. Das kannte Nicole schon. Das Gespräch, das sie provoziert hatte, nahm einen gefährlichen Charakter an. Sie wusste, dass Mirjams Antwort darüber entscheiden würde, ob sie morgen noch eine Geliebte hatte oder nicht. Doch das seit Wochen dauernde Wechselbad der Gefühle, die sich ständig abwechselnden Hochs und Tiefs hatten sie ausgelaugt. Sie musste endlich Gewissheit haben.
»Du kennst mich nicht«, Mirjams Stimme klang wieder traurig. »Du kennst mich nicht wirklich, niemand kennt mich! Denn wenn du mich kennen würdest, könntest du mich nicht lieben!«
Diese Logik war entschieden zu hoch für Nicole. Sie schüttelte den Kopf. Doch ehe sie zu einer Erwiderung ansetzen konnte, fuhr Mirjam fort: »Ich habe dir von meiner Familie erzählt, weil ich nicht will, dass du mich für eine Betrügerin hältst. Doch weiter kann ich nicht gehen. Wenn dir das nicht reicht, trennen sich hier unsere Wege!«
Das war eine klare Antwort, zu klar, denn sie schloss aus, dass Nicole noch weitere Fragen stellen konnte. Für den Moment gab sie sich damit zufrieden.
Sie setzte sich zu Mirjam auf die Couch. »Akzeptiere meine Liebe einfach!« bat sie.
Nicoles Lippen, die sich auf Mirjams gelegt hatten, verhinderten eine abschlägige Erwiderung. Sie kannte die Waffen der Frauen, und wieso sollte sie sie nicht auch einsetzen? Nicole ließ ihre Hände unter das Hemd ihrer Geliebten gleiten. Heute würde sie es sein, die eine Unterhaltung beendete, indem sie die Frau ihrer Träume verführte!
»Oh, ja, das ist gut!«
Nicole horchte gespannt auf das Keuchen und Stöhnen, das sie aus dem dunklen Raum vernahm. Leise schloss sie die Hintertür, die in ihr Schuhgeschäft führte. Sie ging ein paar Schritte in den Raum hinein, achtete aber darauf, dass die Regale ihr Deckung boten.
Die Tür zur kleinen Kaffeeküche, die dem Büro angegliedert war, stand einen Spalt breit offen. Nicole unterdrückte das Lachen, als sie erkannte, was sich eben in diesen doch ziemlich eng begrenzten vier Wänden abspielte.
Sie sah Helen, die halb auf dem Schreibtisch saß, sich halb daran anlehnte. Ihre Bluse stand offen, der BH war über die Brüste geschoben worden, die von einer Hand gestreichelt wurden. Ein Bein in Jeans gekleidet hatte sich zwischen ihre Schenkel gedrängt. Die zweite Hand bewegte sich in ihrem Slip vor und zurück. Der Rock, der normalerweise bis zu Helens Knien reichte, war so weit nach oben gerutscht, dass die Handlungen der beiden Personen klar identifiziert werden konnten.
Im dunklen Ladenlokal errötete Nicole. Sie hatte noch nie jemandem beim Sex zugesehen. Zu allem Übel merkte sie, dass ihr ziemlich heiß wurde bei den Geräuschen, die Helen von sich gab und vor allem auch beim Anblick der sich windenden Frau. Dennoch schaffte es Nicole nicht, ihren Blick abzuwenden. Atemlos verharrte sie im Schutz der Schuhregale und wartete, dass Helen zum Höhepunkt kam. Endlich schrie ihre Freundin auf. Sie griff nach vorn und zog einen Kopf dicht zu sich heran. Nicole erkannte Anna. Verblüfft stellte sie fest, dass Kojak nicht länger diesen Namen verdiente, denn statt der Glatze schmückte sie sehr kurzes, blondes Haar. Zwar konnte man die Pracht noch nicht als Frisur bezeichnen, doch immerhin kam es einem Kopfschmuck nahe.
Die beiden Frauen lehnten aneinander, küssten sich und schienen vergessen zu haben, dass Nicole einen Schlüssel hatte, mit dem sie jederzeit in das heiße Intermezzo platzen könnte.
Nicole entschied, Anna die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Sie ging zur Eingangstür, sperrte sie auf und
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