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Ungeahnte Nebenwirkungen

Ungeahnte Nebenwirkungen

Titel: Ungeahnte Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Pearl
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windgepeitschten Meeres hinaus, doch sie schien sie gar nicht wahrzunehmen. Ihre Hände lagen verschränkt in ihrem Schoß, sie bewegten sich ebensowenig wie der Rest des Körpers.
    »Michaelas Tod habe ich nicht verstehen können«, begann Mirjam nach endlosen Minuten des Schweigens mit tonloser Stimme. Sie sprach nicht zu Nicole, die beim emotionslosen Klang der Stimme zusammengezuckt war. »Ich hatte das Gefühl, selbst gestorben zu sein. Zumindest ein Teil, ein großer und wichtiger Teil von mir lebte nicht mehr«, fuhr Mirjam fort. Ihr Blick, in die Ferne gerichtet, war seltsam leer, matt und ohne einen Funken Lebens. »Wäre ich konsequent genug gewesen, hätte ich mir einen Baum oder eine Mauer gesucht und den Schmerzen ein Ende gesetzt. Ich konnte es nicht, ich weiß nicht, was mich davon abgehalten hat, ich konnte es einfach nicht.« Ihre Stimme versagte.
    Gott sei Dank hatte sie es nicht fertiggebracht, dachte Nicole, die ihre Freundin in ihren Armen hielt und doch fror.
    Mirjam seufzte auf. Sie hatte sich ihre Inkonsequenz offenbar noch immer nicht verziehen. Dann fuhr sie leise fort: »Ich musste weg, weit fort von Michaela, denn sie war ja körperlich nicht mehr da. Alles erinnerte mich an sie, egal, wo ich war, mit wem ich zusammen war, immer sah ich Michaela, wie sie mir zum Abschied, ehe sie in mein Auto gestiegen war, lachend zugewinkt hatte. Wir hatten am Abend zuvor unser bestandenes Staatsexamen gefeiert und wollten in den nächsten Wochen einfach mal richtig ausspannen, bevor wir in einer Zahnklinik unsere erste Stelle als Zahnärztinnen angetreten hätten.«
    Das war neu, dachte Nicole, Michaela Superstar hatte also mit Mirjam Zahnmedizin studiert. Sie wollten gemeinsam arbeiten, so wie sie gemeinsam lebten. Das Schweigen, das sich über sie gesenkt hatte, bereitete Nicole körperliche Schmerzen. Sie wusste, wo Mirjam mit ihren Gedanken war.
    »Japan war eine Notlösung«, drangen Mirjams Worte an Nicoles Ohr. »Ich hatte in einer Fachzeitschrift gelesen, dass sie dort in den städtischen Kliniken immer Plätze für Zahnärzte hätten, dass sie überlastet wären und deshalb auch ausländischen Fachleuten die Möglichkeit gaben, ihre Hightech-Medizin kennenzulernen. Ich buchte also den nächsten Flug und ließ alles hinter mir.
    In Japan blieb ich fast ein Jahr lang. Es wäre sicher eine schöne Zeit gewesen, doch das mit dem Vergessen gelang mir nicht. Ich suchte das Abenteuer, stürzte mich am Gummiseil von den höchsten Brücken, machte die hirnrissigsten und gefährlichsten Dinge, nur um zu spüren, dass ich noch lebte. Vielleicht suchte ich auch den Tod, den ich aber eigentlich doch nicht annehmen konnte. Ich weiß es nicht.« Mirjam schwieg wieder. Sie hatte die Antworten auf die Fragen, die sie sich vor fast sechzehn Jahren gestellt hatte, noch immer nicht gefunden.
    Nicole überlegte, ob sich Mirjam auch auf Affären eingelassen hatte, schließlich könnte man das ja auch als Abenteuer bezeichnen. Sie wagte nicht, danach zu fragen, denn sie spürte, dass die Zahnärztin, die unbeweglich neben ihr saß, mit ihren Gedanken Tausende von Kilometern weit weg weilte.
    Plötzlich lachte Mirjam auf. »Meine Familie erklärte mich für verrückt, als sie erfuhr, wo ich mich befand. Ich hatte es versäumt, sie über meine geänderten Pläne zu informieren. Sie machten sich große Sorgen um mich, da sie nicht wussten, wo ich war, ob ich überhaupt noch lebte. Heute verstehe ich ihre Reaktionen, als ich mich nach zwei Monaten endlich meldete, doch damals wurde ich wütend, weil sie mich nicht zu verstehen schienen und mich statt dessen mit Vorwürfen überhäuften.
    Jedenfalls brauchte ich Zeit, sehr viel Zeit, um etwas Abstand zu gewinnen. In Japan fand ich Menschen, die mir eine andere Sicht auf das Schicksal eröffneten. Ich versuchte es anzunehmen, doch mir schien die japanische Art der Schicksalsgläubigkeit, die ich vor allem bei älteren Menschen erkannte, als zu fatalistisch und zu einfach. Immerhin lernte ich zu akzeptieren.
    Ich verstehe bis heute nicht, was damals geschehen ist, wieso es ausgerechnet Michaela treffen musste, doch ich weiß, dass ich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann, dass ich sie nicht zurückholen kann, egal, wie ich es auch anstelle.
    Nicole, es tut noch immer weh, höllisch weh!« Der letzte Satz kam stockend über Mirjams Lippen.
    Es hätte ein Schrei sein sollen, dachte Nicole, doch es war nur ein fast unverständliches Flüstern. Sie verstärkte ihre

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