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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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zwei Metalltritte hinaufstieg, den Zündschlüssel im Schloss
steckend vorfand und davontuckerte. Jetzt rollten die Tränen doch herab, und das Bild verschwamm.
     
    Lara streckte die Finger. Mit den Spitzen konnte sie gerade die Reifen an den Seiten des Rollstuhls berühren. Zwar waren ihre Beine an die Fußstützen gefesselt, aber wenn es ihr gelang, die Räder zu drehen, konnte sie sich vorwärtsbewegen. Noch ein paar Millimeter. Gemeinsam krochen die Finger über gekerbtes Gummi, drückten beide Reifen gleichzeitig nach vorn. Lara bewegte ihr Becken ruckweise nach vorn. Der Rollstuhl rührte sich keinen Millimeter.
    Lara reckte den Hals und drehte dann den gesenkten Kopf, so weit es ging, nach links und rechts, um die Beschaffenheit des Bodens zu untersuchen. Kleine Buckel und Steinchen, einzelne Strohhalme, aber nichts Unüberwindliches. Theoretisch dürfte es kein Problem sein, den Rollstuhl vorwärtszubewegen. Lara drehte den Kopf noch etwas weiter zur Seite, bis ihre Halsmuskeln aufgrund der unnatürlichen Haltung glühten. Ihr Verstand weigerte sich anzuerkennen, was die Augen längst gesehen hatten: zwei Feststellbremsen an den rückwärtigen Griffen des Rollstuhls.
    Lara wandte den Blick ab.
    An die Bremsen des Rollstuhls kam sie nicht heran, also würde sie auch nicht damit fahren können. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Entweder versuchte sie, sich ruckweise nach vorn zu werfen und so Stück für Stück voranzukommen, oder sie stürzte sich mitsamt dem Gefährt seitlich um und bemühte sich dann zu kriechen.
    Während Lara noch darüber nachdachte, was besser wäre, kam ihre Freundin, die Schmeißfliege, zurück und nahm auf der Armlehne Platz.
    Das Geräusch von draußen dröhnte in der plötzlich eingetretenen
Stille wie ein Schuss. In Wirklichkeit war es eher ein leises Knacken. Dann raschelte es an der rückwärtigen Bretterwand.
    Lara hatte das Gefühl, als zögen sich sämtliche Muskeln ihres Körpers in einem konvulsivischen Krampf zusammen. Die Fliege erhob sich und brummte aufgeregt davon. Das Rascheln blieb. Blieb so lange, bis Lara heiser um Hilfe zu schreien begann.
    Das Reh und sein Kitz, die die saftigen Gräser direkt am Fuß der Wand genascht hatten, erstarrten. Nur ihre Ohren bewegten sich für einen winzigen Augenblick.
    Dann flüchteten sie in den Wald. Das weiße Hinterteil der Mutter schien auf und ab zu hüpfen. Das Kitz sprang hinterdrein.
    In der Bretterbude verebbte das Schreien. Dann war es wieder still. Totenstill.

31
    Mark hielt das Handy ein Stück vom Ohr weg, sodass auch Jo hören konnte, wie Kriminalkommissar Stiller seine Antwort ins Telefon blaffte. »Bleiben Sie mir mit dieser Frau vom Leib!« Wenigstens hatte er nicht gleich aufgelegt.
    »Haben Sie mir denn nicht zugehört?« Mark schaute Jo an, der mit den Augen rollte. »En Menschenleben ist in Gefahr!«
    »Haben Sie außer Ihren wirren Vermutungen irgendwelche handfesten Beweise?«
    Mark fasste im Telegrammstil noch einmal die Fakten zusammen. An seinem Gesichtsausdruck sah Jo, dass der Kommissar ihm noch immer nicht glaubte. Das, was der Kripomann
»handfeste Beweise« nannte, hatten sie nicht. Niemand hatte beobachtet, wie der Täter Lara gekidnappt und verschleppt hatte, es gab keine Augenzeugen.
    »Ich verstehe. Trotzdem würde ich gern zu Ihnen kommen und die Dinge besprechen.« Mark wartete kurz und setzte ein »Bitte« hinzu. Dann zählte er zum zweiten Mal seine Referenzen auf. Von der Beteiligung des Fotografen sprach er vorsichtshalber nicht.
    »Nein. Morgen wäre zu spät! Kollege Stiller, hören Sie, ich bitte doch nur um eine Viertelstunde Ihrer Zeit.« Vielleicht war es die kollegiale Anrede, vielleicht das permanente Bitten, vielleicht auch die beachtliche Liste von Fällen, an denen Mark mitgearbeitet hatte, oder dass Stiller ihn flüchtig vom Fallanalyseteam kannte, jedenfalls stimmte der Beamte zu, den Psychologen um drei Uhr zu empfangen, schloss mit den Worten: »Aber nicht mehr als zehn Minuten!«, und legte auf, ohne sich zu verabschieden.
    »Was für ein unkooperativer Mann!« Mark atmete hörbar aus. In seinem Schädel trommelte ein Schlagzeuger Soli, und er musste sich mit solchen Ignoranten herumschlagen. »Ich hätte ihn gar nicht erst anrufen, sondern ohne Voranmeldung bei ihm aufkreuzen sollen. Aber ich hatte gehofft, die könnten in der Zwischenzeit schon etwas ermitteln.«
    »Was kann ich denn währenddessen tun?« Jo hatte die ganze Zeit fieberhaft in Laras Telefonbuch

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