Ungezaehmte Leidenschaft
dass sie beabsichtigte, Leute von der Society einzuladen, die Sie bei der Arbeit beobachten sollten.«
Virginia studierte Owen lange mit eindringlichem Blick. »Ich glaube Ihnen«, sagte sie schließlich.
Er war so erleichtert, als wäre ihm ein ganzer Berg von den Schultern genommen worden. »Danke«, sagte er.
»An jenem Abend wäre ich beinahe ohne Deutung wieder gegangen«, sagte Virginia. »Im Umgang mit Leuten, die mich als Forschungsobjekt betrachten, habe ich eine strikte Regel. Ich lehne es stets ab, mich einem Test zu unterwerfen. Aber aus einer Laune heraus entschied ich mich, die Deutung durchzuführen.«
»Lady Pomeroys wegen?«
»Ich konnte spüren, dass es um Fragen bezüglich Lord Pomeroys Tod ging. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich blieb.«
»Sie machten die Deutung meinetwegen, so ist es doch?«
»Ich glaube, ja.«
»Warum?«
»Da ich spürte, dass Sie ein Mann von beträchtlichem Talent sind, dachte ich, Sie würden vielleicht erkennen, dass mein Talent echt ist, wenn Sie mich bei meiner Arbeit sehen könnten. Es war für mich wohl so etwas wie eine Herausforderung.«
»Sie haben also gegen Ihre eigene Regel verstoßen. Meinetwegen.«
Virginia lächelte kühl. »Meiner Erfahrung nach erweist es sich fast immer als Fehler, wenn man selbst auferlegte Regeln bricht.«
»Ich musste dieselbe Erfahrung machen.«
»Haben Sie je gegen eigene Regeln verstoßen, Mr. Sweetwater?«
»Mir scheint, dass ich bei diesem Fall sehr viele breche.«
Eine merkwürdige Stille trat ein. Die Schritte der Haushälterin erklangen in der Diele. Mrs. Crofton klopfte, öffnete die Tür und trat mit dem Teetablett ein. Sie sah Virginia fragend an.
»Soll ich einschenken, Ma’am?«
»Ja bitte, Mrs. Crofton«, sagte Virginia.
Mrs. Crofton gab Tee in zwei Tassen und reichte sie an Virginia und Owen, dann ging sie wieder hinaus und schloss leise die Tür. Owen hatte das Gefühl, das Arbeitszimmer wäre plötzlich kleiner und intimer geworden. Er öffnete seine Sinne ein wenig und gestattete sich, das Gefühl der Nähe Virginias auszukosten.
»Werden Sie mir helfen, Miss Dean?«, fragte er nach einer Weile.
»Jemand hat in den vergangenen Wochen zwei Spiegel-Deuterinnen umgebracht«, sagte sie. »Gestern wurde ich an den Ort eines höchst spektakulären Mordes gelockt, der in einem verspiegelten Raum stattfand. Und dann wäre da noch das mechanische Spielzeug, auf das wir in den Gängen unter dem Hollister-Haus stießen. Alles in allem kann man keines dieser Ereignisse einem Zufall zuschreiben. Ja, Mr. Sweetwater, ich will Ihnen bei Ihren Untersuchungen helfen.«
»Das freut mich zu hören.«
»Sie werden dennoch sicher verstehen, dass ich in dieser Sache um meinen Ruf bange.«
Wie aus dem Nichts durchzuckte ihn eiskalter Zorn. »Seien Sie versichert, Miss Dean, dass die Männer meiner Familie zwar Jäger sind, sich aber als Gentlemen betrachten. Es liegt mir fern, Ihrem guten Namen zu schaden.«
Ihrem überraschten Blinzeln folgte ein Lächeln. »Vielen Dank für Ihre Versicherung, doch ist sie unnötig. An meinem persönlichen Ruf liegt mir nicht. In meinem Alter und angesichts meines Berufes kümmern mich diese Dinge nicht mehr.«
»Was reden Sie da? Sie sind nicht vorgerückten Alters.«
»Ich bin sechsundzwanzig, Sir. Sicher ist Ihnen klar, dass ich damit aus dem Rennen bin und nicht mehr mit einer Ehe rechnen kann. Ich bin um den Ruf besorgt, den ich unter meinen Kollegen genieße.«
Er runzelte die Stirn. »Ich sehe das Problem nicht.«
»Also wirklich, Sir, Sie sind schwer von Begriff. Dann muss ich wohl deutlicher werden.«
Man hatte ihm schon viel unterstellt, aber begriffsstutzig hatte ihn noch niemand genannt.
»Bitte, tun Sie es«, bat er.
»Keiner meiner Kollegen darf wissen, dass ich Ihnen helfe, andere Praktiker zu entlarven. Gerüchte dieser Art würden mich ruinieren.«
»Natürlich.« Er war wirklich schwer von Begriff gewesen. »Diesen Aspekt hatte ich nicht bedacht.«
»Es muss doch ganz klar sein, dass ich Ihnen nur erlaubte, meine Arbeit zu studieren, weil ich sicher war, Sie von meinem echten Talent überzeugen zu können.«
»Ja, Miss Dean.«
»Sollten Gerüchte im Umlauf sein, dass ich meine Kollegen hintergehe, verliere ich all meine Freunde und Verbindungen, die ich zur Ausübung meines Berufes brauche.«
»Miss Dean, Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit Ihre Freunde glauben, meine Aufmerksamkeit
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