Ungezaehmte Leidenschaft
Drachen auszuschalten. Nur ein ganz starkes Spiegellicht-Talent konnte dies vollbringen. Nicht mal er selbst beherrschte die Spielzeuge ohne Zuhilfenahme der Taschenuhr. Die Spiegel-Deuter waren meist schwache Geschöpfe wie die Ratford und die Hackett, die ihre eigenen Fähigkeiten nicht annähernd begriffen. Viele glaubten tatsächlich, dass die Bilder, die sie in den Spiegeln sahen, echte Geister waren. Doch er wusste von einer, die es geschafft haben konnte, den Drachen zu überleben und ihn unschädlich zu machen – Virginia Dean. Er hatte sich die Dean für zuletzt aufgespart, weil er gespürt hatte, dass sie diejenige war, die er brauchte. Ihre Kraft reichte vermutlich aus, um das Feuer in den Spiegeln seiner Großen Maschine zu entflammen. Sie hatte nun bewiesen, dass sie sogar noch stärker war, als er gehofft hatte. Erregung durchfuhr ihn.
Und sofort kamen ihm zwei Fragen in den Sinn: Warum war Virginia Dean an diesem Tag in das Ratford-Haus gekommen, und war sie allein gewesen?
14
Owen schlug die Augen auf, als Virginia sich aus seinen Armen befreien wollte. Er sah zu, wie sie aufstand, und empfand ein tiefes Gefühl der Befriedigung, das weit über das Körperliche hinausging. Sie ahnte nicht, wie herrlich zerrauft und erotisch sie aussah, nur mit ihrem zerdrückten Hemd und Strümpfen bekleidet. Haarsträhnen, kupfergold glänzend wie die untergehende Sonne, hatten sich aus den Klammern gelöst und fielen ihr auf die Schultern.
Erschrocken blickte sie an sich hinunter und sah das Blut.
»Ach Gott«, sagte sie. »Es war ganz neu.«
»Ich werde es ersetzen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte sie seltsam ungehalten. »Sicher lässt es sich auswaschen.«
Verlegen lief sie durch den Raum, griff nach ihrem Unterrock, zog erst hastig ihn an, dann ihr Kleid.
Als würde sie eine Rüstung anlegen, dachte er.
Er knüllte das Taschentuch zusammen, mit dem er sie beide eben notdürftig gesäubert hatte, und steckte es in seine Hosentasche. Widerstrebend stand auch er auf und brachte Hose und Hemd in Ordnung.
»Virginia …« Mehr sagte er nicht, weil er nicht weiterwusste.
»Ja?« Sie war mit den letzten Häkchen ihres Kleides beschäftigt.
Er ging zu ihr. »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Sie sah ihn an. »Natürlich. Warum auch nicht?«
»Es war deine erste Erfahrung auf diesem Gebiet.«
»Das schon«, sagte sie. »Aber das ist kaum meine Schuld. Die Gesellschaft macht es einer alleinstehenden Frau wirklich sehr schwer, einen Liebhaber zu finden.«
»Schwer, aber nicht unmöglich. Viele alleinstehende Frauen finden einen Weg, das Problem zu umgehen. Warum hast du so lange gewartet?«
Virginia seufzte. »Man muss erst zu der Einsicht gelangen, dass man nichts zu verlieren hat und dass es sinnlos ist, sich für die Ehe aufzusparen, weil es unwahrscheinlich ist, dass man jemals dem Traummann begegnet.«
»Ich verstehe.«
Sie hatte seine romantischen Überlegungen bezüglich der Natur ihrer Beziehung zunichtegemacht. In der Meinung, kein besserer Mann würde ihren Weg kreuzen, hatte sie sich ihm heute hingegeben.
»Eigentlich kam mir diese Erkenntnis schon an meinem sechsundzwanzigsten Geburtstag«, fuhr Virginia fort. »Aber leider wurde dadurch die Situation nicht weniger kompliziert.«
»Warum war das so?«
»Es blieb noch immer das Problem, den Richtigen zu engagieren.«
»Du wolltest jemanden engagieren?« Er war nicht leicht zu schockieren, aber Virginia hatte es eben geschafft.
Sie errötete. »Na, vielleicht war das ungeschickt ausgedrückt. Natürlich möchte man, dass diese Sache von großer Leidenschaft begleitet ist.«
»Ja, das erhofft man sich.«
»Wirklich, es ist ja nicht so, als würde man einen Gärtner einstellen.«
»Da bin ich aber erleichtert. Glaube ich jedenfalls.«
Sie zog die Brauen zusammen. »Es gibt eben keine Riesenauswahl passender Gentlemen, die nur darauf warten, wie reife Tomaten auf dem Markt ausgewählt zu werden. Sie müssen viele Ansprüche erfüllen. Und es zeigt sich, das eine Frau mit zunehmenden Jahren anspruchsvoller wird.«
»Ich verstehe.«
»In meinem Alter ist die Liste der Anforderungen schon sehr lang, und man weiß, dass man den Richtigen nicht finden wird. Deshalb muss man Kompromisse machen.«
Owen hob ihr Kinn. »Welche Ansprüche stellst du, Virginia?«
»Ich hatte meine Liste schon gekürzt und mich nur auf Leidenschaften beschränkt«, sagte sie.
»Und ich habe nicht einmal diesen minimalen Anspruch erfüllt?«
Erst
Weitere Kostenlose Bücher