Ungezaehmte Leidenschaft
Brauen hoch. »Es muss sich um eine sehr interessante Konversation gehandelt haben.«
»Ja, sie war in der Tat interessant«, erwiderte Owen und unternahm den heroischen Versuch, das Thema zu wechseln. »Hast du bei deinen Nachforschungen über den Stammbaum der Hollisters etwas in Erfahrung gebracht?«
»Leider nur sehr wenig Brauchbares. Hollister ist der letzte Lebende seiner Familie gewesen. Es gibt keine nahen Verwandten, keine Onkel, Brüder oder Vettern mehr. Keine sehr fruchtbare Familie. Allerdings stieß ich da und dort auf Spuren von Wahnsinn. Mindestens ein Vetter und ein Großvater waren in einer Anstalt. Ich vermute, dass es noch mehr Geistesgestörte gab, aber früher wurden verrückte Familienmitglieder meist unters Dach verbannt.«
»Aber es gibt Anzeichen für starkes Talent in der Familie?«
»Ja«, sagte Ethel. »Nach allem, was ich herausfand, waren die starken Talente in der Familie allerdings jene, die Anzeichen von geistiger Zerrüttung und Wahnsinn zeigten.«
16
Die Ladentür wurde genau in dem Moment geöffnet, als Millicent Bridewell den silbrig schimmernden Hummer aufziehen wollte. Die neueste Kreation aus ihrer Werkstatt war exquisit, vollendet in allen Einzelheiten bis hin zu den beweglichen Scheren. Es fehlte noch die Energie, sie musste in die Augen geleitet werden. Der letzte Schritt des Herstellungsprozesses war ein zusätzliches Angebot, das nur für ganz spezielle Kunden vorgesehen war. Das erhöhte den Preis natürlich.
Sie zog den Schlüssel heraus und steckte ihn in ihre Tasche. Der Kunde, der sich Mr. Newton nannte, betrat den Laden und brachte eine Flut verstörender Energie mit sich.
»Mrs. Bridewell, ich möchte noch mehr dieser Raritäten bestellen«, sagte er mit seiner leisen, seltsam heiseren Stimme. »Sie müssen aber sehr stark sein.«
Alles an Mr. Newton, von seiner feinen Kleidung bis zu seiner Taschenuhr, verriet, dass er Geld hatte. Eigentlich sollte er vornehm wirken, dachte Mrs. Bridewell, und Respekt einflößen. Stattdessen machte er einen merkwürdig unscheinbaren Eindruck, dem eines Butlers ähnlicher als dem eines Gentlemans. Mr. Newton war nicht groß, hatte schütteres aschblondes Haar und einen nichtssagenden Gesichtsausdruck – er war ein außergewöhnlich unauffälliger Mann, den man auf der Straße keines zweiten Blickes würdigte.
Da Newton inzwischen mehrere ihrer speziellen Raritäten erworben hatte, meldete sich Millicents Unbehagen sehr stark. Im Allgemeinen setzte sich ihre Kundschaft aus verzweifelten Ehefrauen und ungeduldigen Erben zusammen, die es vorzogen, eine ihrer Kuriositäten nur zu mieten, da sie diese nur ein einziges Mal einzusetzen beabsichtigten. Waren der schwierige Ehegespons oder der langlebige reiche Verwandte aus dem Weg geräumt, hatten die Kunden es sehr eilig, das Spielzeug wieder zurückzubringen. Die den Geräten innewohnende Kraft machte die meisten Kunden nervös. So schön sie waren, waren diese »Spielzeuge« nicht von der Art, wie man sie in der Bibliothek oder im Salon zur Schau stellte, wo diensteifrige Hausmädchen, wohlmeinende Gäste oder Kinder sie vielleicht aufzuziehen versuchten.
Aber Newton war anders als ihre übrigen Kunden. Er hatte noch keines ihrer kleinen Kunstwerke zurückgebracht, trotz ihrer Versicherung, sie würde ihm in diesem Fall einen Teil des Geldes zurückerstatten. Wie Newton ihre Geschöpfe einsetzte, kümmerte sie nicht, sie stellte ihren Kunden keine Fragen. Was ihr bei Newton Sorgen machte, war die Tatsache, dass er sie viel zu oft einsetzte. Wurde er unvorsichtig, bestand die Gefahr, dass die Polizei über ihr profitables kleines Nebengeschäft stolperte. Dabei machte ihr die Polizei nicht halb so viel Kopfzerbrechen wie die neue Ermittlungsagentur von Arcane. Gerüchte besagten, dass Jones & Jones sich auf die Aufklärung von Verbrechen paranormaler Natur spezialisiert hatte. Die Agentur hatte zwar ihrer Meinung nach kein Recht, sich in die Privatangelegenheiten jener einzumischen, die zufällig über ein wenig Talent verfügten, trotzdem wollte sie keinen Ärger. Die Jones waren ein gefährliches Gespann.
»Mr. Newton, ich habe im Moment keine Raritäten vorrätig«, sagte Millicent und machte sich hinter dem Ladentisch zu schaffen. Es war ihr lieber, zwischen sich und dem Kunden etwas räumliche Distanz zu wahren. »Ich dachte, ich hätte schon gesagt, dass ich nur auf Bestellung anfertige. Es braucht seine Zeit, bis die Energie vom Glas absorbiert wird.«
»Ja, ja,
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