Ungezaehmte Nacht
nicht«, bestritt sie. »Er hatte mitangehört, wie ich Rivellios Männern Informationen gab, und deshalb haben sie ihn getötet. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Da ich aber auch nicht zulassen konnte, dass jemand es erfuhr, entfernte ich die menschlichen Fußspuren um die Leiche.«
»Ich kann verstehen, dass du Don Rivellio töten willst, doch das ist unmöglich. Selbst wenn er kommt, Theresa, wird er Begleitschutz haben. Wie konntest du nur glauben, du wärst imstande …« Isabella verstummte, als sich alles wie Puzzleteilchen zu einem Bild in ihrem Kopf zusammenfügte. Der zerfetzte Uniformrock und das gleichermaßen zerrissene Kleid in ihrem Schrank. Die weibliche Stimme, die sie die Stufen zum Balkon hinauflockte. Eine Stimme wie Francescas. Die Frau auf dem Marktplatz mit dem langen schwarzen Haar und den Gesichtszügen der DeMarcos. Wie Francesca, aber eben nur fast. Der Löwe, der ihr durch die schmalen Straßen folgte und sie mit hasserfüllten Augen anstarrte. Die Spuren der Löwenpranken im Schnee um den Leichnam des Küchendieners. Der Löwe, der Rolando Bartolmei verfolgte. Auch Francesca DeMarco konnte zu dem Raubtier werden, und Theresa war eine Cousine ersten Grades von Nicolai und Francesca.
Isabella schüttelte den Kopf. »Theresa, überleg dir, was du tust!«
»Ich tue, was hätte getan werden müssen, als Rivellio meine kleine Schwester gegen ihren Willen mitnahm und sie missbrauchte. Nicolai hätte jemanden hinschicken sollen, um ihn zu töten.« Theresas Stimme klirrte vor Kälte und Hass. »Sie war noch ein Kind! Rivellio hat ihr Leben zerstört. Heute ist sie nur noch eine leere Hülle. Es ist furchtbar, dass er mit so etwas davongekommen ist.«
»Er hat meinen Vater ermorden lassen«, sagte Isabella leise. »Meinen Bruder hat er gefoltert und hätte ihn auch hingerichtet.« Sie hob die gefesselten Hände und strich sich das Haar zurück, das ihr in die Stirn fiel. Als sie aufblickte, verkrampfte sich ihr Magen wieder, ihr Herz begann zu rasen, und sie spürte den unangenehmen Geschmack von Furcht im Mund.
Durch den grauen Nebel konnte sie Soldaten sehen, die in geschlossener Formation um eine einzelne, stattliche Gestalt herumritten. »Geh, Theresa! Noch kannst du fliehen, bevor du ihm in die Hände fällst«, flüsterte Isabella, die spürte, wie das Blut aus ihren Wangen wich. Mühsam rappelte sie sich vom Boden auf, denn nie, niemals würde sie einem Feind verschüchtert und zusammengekauert begegnen. Ohne bewusst darüber nachzudenken, schob sie sich beschützend vor die andere Frau. »Sie haben dich noch nicht gesehen. Lauf! Du kannst ihnen noch entkommen.«
Isabella hielt den Blick unverwandt auf den Mann gerichtet, der in der Mitte der Soldaten ritt und wie ein Teufel aussah. Aber er war ja auch das personifizierte Böse, genauso abartig und krank wie die bösartige Entität, die den Hass und die Eifersüchteleien im Tal schürte. Isabella verspürte einen kalten Luftzug und eine seltsame Verwirrtheit, als die Entität eifrig eine Verbindung zu Don Rivellio herstellte und Theresa verließ.
Hinter ihr stöhnte Theresa leise. »Was habe ich getan? Was ist nur in mich gefahren? Rolando wird mir nie verzeihen.« Sie griff um Isabella herum, um mit einer scharfen Klinge sauber ihre Fesseln zu durchtrennen. Dann drückte sie Isabella das Messer in die Hand. »Wenn ich das Raubtier in mir freilasse, rennst du los und fliehst in den Wald. Das ist alles, was ich für dich tun kann.« Ein Schluchzen stieg in Theresas Kehle auf, doch sie unterdrückte es und kämpfte um Beherrschung.
Die Soldaten hatten sie entdeckt. Mehrere gaben ihren Pferden die Sporen und jagten auf die beiden Frauen zu. Isabella versuchte gar nicht erst zu fliehen, sondern schob das Kinn vor und setzte ihre hochmütigste Miene auf.
»Es tut mir leid«, flüsterte Theresa. »Du hattest kein Recht, mit meinem Ehemann das Bett zu teilen, doch ich habe auch falsch gehandelt.«
»Falls wir beide heute sterben sollten, Theresa, musst du wissen, dass Rolando mir gegenüber nie etwas anderes als Höflichkeit erkennen ließ«, sagte Isabella wahrheitsgemäß.
Die Soldaten erkundeten die nähere Umgebung, weil es sie misstrauisch machte, die beiden Frauen ohne Eskorte und so weit entfernt von der sicheren Burg zu sehen. Don Rivellio saß derweil auf seinem Pferd und musterte Isabella aus durchtriebenen, gierigen Augen. Der Nebel wurde zu einem dünnen Schneeregen, und schmutzig graue Wolken verdunkelten den Himmel
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