Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungezogen

Ungezogen

Titel: Ungezogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsay Gordon
Vom Netzwerk:
Sie war augenblicklich von ihm gefesselt.
    Seine Augen wanderten über ihre lange Nackenlinie, den Bogen ihrer Brüste und weiter nach unten, und seine Fingerspitzen schienen zu folgen.
    Ihr Körper reagierte sofort. Tief in ihr schien sich etwas um ihre Erregung zu klammern, als ob es das Gefühl für immer festhalten wolle. Ihr entglitt ein kleiner Seufzer, den sie schnell wieder inhalierte. Sie sah nach unten.
    Als sie wieder aufsah, lächelte er immer noch. Er wusste, dass sie verstanden hatte. Der Bastard wusste genau, was er nur mit einem Blick bei ihr auslöste und wie ihr Körper darauf reagierte. Sie war unschuldig daran, hätte sie behauptet. Doch die Situation war alles andere als unschuldig.
    Er kam näher, um sich vorzustellen.
    »Henry«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.
    »Eliza«, erwiderte sie gelangweilt, griff aber doch schnell nach der ausgestreckten Hand, angstvoll, was der körperliche Kontakt in ihr auslösen würde.
    Am anderen Ende des Raums flüsterte der Meister der Etikette ihrer Tante Augusta irgendetwas zu. Sie schien darüber belustigt, sah aber doch ein wenig besorgt zu Eliza und Henry hinüber.
    »Da nun alle anwesend sind, können wir unsere Plätze einnehmen«, sagte Augusta mit ihrer klaren Stimme.
    Henry bot Eliza formvollendet seinen Arm an. Sie verbarg ihre Überraschung, legte aber ihre Hand auf den angebotenen Arm.
    Plötzlich wusste sie, warum sie anfangs gezögert hatte, ihn zu berühren.
    Henry strahlte Autorität aus. Mit ihrer Hand auf seinem Arm fühlte sie sich in seine Aura gezogen. Ihr Herz hämmerte wild gegen ihre Rippen, ob aus Protest oder Freude, sie wusste es nicht. Wie auch? Bei diesem überwältigenden körperlichen Verlangen.
    Henry zog ihren Stuhl zurück und lehnte sich leicht über sie, als sie Platz nahm. Sie sog seinen Duft ein. O Gott, das war einfach zu viel! Sie war fast erleichtert, als er sich entfernte. Ihre Augen folgten ihm, als er den Tisch umrundete und sich auf den Stuhl gegenüber von ihr setzte. Ein Teil von ihr trauerte ihm bereits nach.
    Das Essen war die reinste Qual. Die üblichen Gespräche. Sie überstand die Tortur nur halbwegs, indem sie verstohlene Blicke zu diesem scheinbar uninteressierten Henry warf und Mr Etikette düpierte, indem sie aus dem verkehrten Glas trank, den Beistellteller ihres Nachbarn nahm und ihr Dessert mit der Salatgabel aß.
    Normalerweise hätte sie sich weggelacht, aber dieses Mal war es anders. Sie musste hart schlucken, als sie die Blicke des alten Nörglers bemerkte und fühlte, wie Ärger in ihr hochstieg. Sie griff über den Tisch zum Salzstreuer und sah in Henrys amüsierte Augen, als er ihn anreichte. In seinen grauen Augen zeichnete sich unverhohlene Heiterkeit ab. Sie nahm den Salzstreuer entgegen und strich - wie zufällig - über seine Finger. Ein wenig zitterte sie dabei. Ihre Lippen öffneten sich zu einem überraschten Atemzug, weiteten sich und erwiderten sein konspiratives Lächeln.
    Kurz vor dem Dessert entschuldigte sie sich und warf ihm einen vielsagenden Blick über die Schulter zu. Sie hoffte, dass dieser ausreichte und nicht als zu offenkundige oder verzweifelte Anmache ausgelegt werden konnte. Wenn er ihr nicht folgte, würde sie vorzeitig gehen und sich von keinem der Anwesenden verabschieden.
    Ihre Absätze klackerten über den gefliesten Korridor, als sie sich zum Garderoben-Alkoven begab. Es war inzwischen spät geworden, und vom Personal war kaum noch jemand zu sehen. Alle Gäste waren gegangen, mit Ausnahme ihrer Tante und ihren Freunden, die weiter ihr Dinner in Augustas Chambre séparée einnahmen. Die Tische waren bereits für den kommenden Tag eingedeckt. Die Räumlichkeiten machten einen fast unheimlichen, verlassenen Eindruck. Sie betrat den Garderoben-Alkoven, der ihr wie ein Zufluchtsort erschien, und griff nach dem Pelzmantel. Zögernd strichen ihre Hände über das weiche Fell. Ihr Kleid verrutschte ein wenig nach oben und ließ ihr Hinterteil aufblitzen. Indem sie die Veranstaltung vorzeitig verließ, wollte sie ihrer Tante und Mr Etiquette eine letzte Lehre verpassen. Allerdings würde sie den Spaß nicht mehr so witzig finden, wenn sie vielleicht allein gehen müsste.
    »Schon so früh nach Hause?«
    Beim Klang von Henrys sonorer Stimme fuhr sie herum. Er hatte sich herangeschlichen wie eine Katze auf Samtpfoten an ihre Beute, fremdartig und mehr als nur ein wenig gefährlich.
    »Ich muss früh aufstehen«, antwortete sie und versuchte, cool zu bleiben.

Weitere Kostenlose Bücher