Ungnade: Thriller (German Edition)
einhergeht, eine Zeit lang hinter mir lassen: die Presse, die Fans, die Roadies, die Agenten und die Chefetagentypen von den Plattenfirmen. Ich kann das alles nicht mehr ertragen. Ehrlich nicht.«
» Du möchtest bei mir einziehen? Bist du verrückt?«
» Muss ja nicht sein. Wir könnten auch zusammen irgendwohin fahren. Ich brauche nur ein paar Tage Abstand von dem ganzen Chaos hier. Ich bezahle auch alles.«
Rebecca starrte ihn fassungslos an. Sie war sich sicher, dass ihre Kinnlade genau das gemacht hatte, was Kinnladen in Cartoonfilmen manchmal tun: Sie war heruntergeklappt, aus den Angeln gerutscht und auf den Boden geplumpst. Roddy war ihre Mimik nicht entgangen.
» So meine ich das nicht. Nicht dass wir ein Paar werden oder so was. Ich brauche nur jemanden, der für mich da ist, verstehst du? Der mir beisteht, wenn der schwierige Teil kommt. Der mich davor bewahrt, ins Bodenlose zu stürzen. Ich kenne mich selbst doch gut genug, um zu wissen, dass ich im Moment nicht die Kraft habe, das allein zu packen. Die Zeit kommt irgendwann, sicherlich, aber noch bin ich nicht stark genug für einen Alleingang.«
Ist das nicht genau der Grund, aus dem ich hier bin?, fragte sich Rebecca. Jedenfalls hatte sie das Hannah so erklärt. Nun aber gingen ihr seine Worte einen Schritt zu weit. Nur weil sie jemandem etwas Gutes tun wollte, konnte sie sich schließlich nicht wieder mit ihm zusammentun, nachdem sie mit ihm eine ziemlich schreckliche Beziehung geführt hatte.
» Falls das mit deinem Kind für dich ein Problem ist, kannst du es gern mitbringen«, sagte Roddy. » Vielleicht wird seine Anwesenheit mir sogar helfen, mich vor dem Abdriften zu bewahren, verstehst du?«
» Ich kann meinen Sohn da nicht mit hineinziehen.«
» Dann eben nur du allein. Was immer du für richtig hältst.«
» Aber ich habe noch nicht einmal gesagt, dass ich das überhaupt tun werde. Du hörst nur das, was du hören willst. Du hast dich nicht im Geringsten verändert, Roddy.«
Er wirkte betroffen und errötete. Sogleich wurde Rebecca von ihrem schlechten Gewissen heimgesucht. Jetzt erinnerte sie sich wieder: So war es in ihrer Beziehung mit ihm immer gewesen. Sie hatte sich stets bemüht, die Erwachsene zu sein, während er sich wie ein kleines Kind benahm, sich entweder in seine Schmollecke zurückzog oder wütend mit den Füßen aufstampfte, um seinen Kopf durchzusetzen. Nein, es würde nie mit ihnen beiden klappen.
» Tut mir leid«, sagte er.
Sie sah ihn an. » Ich kann mich nicht erinnern, die Worte schon jemals aus deinem Mund vernommen zu haben, Roddy. Nicht zu der Zeit, in der wir zusammen waren– und auch danach nicht.«
» So etwas hier«, setzte er an und machte mit seinen Händen eine verlegene Geste, » lässt einen über sein Leben nachdenken. Ich weiß, dass sich das für dich wahrscheinlich anhört wie irgendein amerikanisches Psychogefasel…«
» Ja, das tut es.«
» … aber es ist wahr. Ich habe sogar eine Therapie gemacht. Und sie hat funktioniert. Zumindest für mich. Du brauchst gar nicht so abschätzig zu gucken.«
Rebecca schämte sich schon wieder. Vielleicht hatte er tatsächlich sein Leben umgekrempelt. Er klang verändert.
» Jedenfalls hat es nichts mit diesem ›Es-an-allen-Menschen-in-zwölf-Schritten-wiedergutmachen-Mist‹ zu tun«, sagte er. » Es geht nur darum, wo ich jetzt stehe. Darum, dass ich in dieser Sache Hilfe brauche. Es ist für mich nicht einfach zuzugeben, dass ich ein Wrack bin, und jemanden bitten zu müssen, mir aus dem Schlamassel herauszuhelfen. Ich bin es immer gewohnt gewesen, das Leben zu genießen, ohne mich um andere kümmern zu müssen.«
» Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich hab’s ja miterleben dürfen, falls du dich erinnerst.«
Seufzend rieb er sich mit den Händen über das Gesicht. » Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leidtut. Und ich habe es ehrlich gemeint. Das alles tut mir leid, okay?«
Sie musterte ihn eingehend, versuchte dahinterzukommen, ob er seine Entschuldigung ehrlich meinte oder ihr nur sagte, was er für nötig hielt, um seinen Willen zu bekommen. Trotz ihrer begründeten Vorbehalte gegen ihn– oder gegen den, der er mal gewesen war– vermochte sie einfach nicht den Stab über ihn zu brechen.
Aber was sollte sie tun? Sich in ihrem Leben eine Auszeit nehmen, gerade jetzt, wo alles langsam wieder in geordneten Bahnen verlief? Wo Logan und sie zusammen etwas aufbauen wollten?
Wenn du das tust, Becky, sagte sie zu sich, tust du es
Weitere Kostenlose Bücher