Ungnade: Thriller (German Edition)
und verschwand.
Nummer zwei holte eine Schachtel Marlboro hervor, zog eine Zigarette heraus und hielt sie einen Moment lang zwischen seinen Lippen, ehe er sie sich ansteckte.
» Schon ein Scheißjob«, sagte er an niemanden gewandt.
17
Im Norden von Fort William entdeckte Rebecca Irvine ein ansprechendes Hotel und bog in die Einfahrt ein. Sie wollte sich erkundigen, ob noch Zimmer frei wären. Komisch, dachte sie, wie rasch man sich darauf einstellt, auf Reisen zu sein, die Gedanken sich nur noch um das nächste Bett für die Nacht oder die nächste Mahlzeit drehen.
Sie hatte Glück und bekam zwei Zimmer. Nachdem sie eingecheckt und ihr Gepäck ausgeladen hatten, klopfte sie an Roddys Tür, um ihn zu fragen, ob er mit ihr das Hotel erkunden wolle. Sie hatte einen Hinweis auf einen Wellnessbereich gesehen und hoffte, es würde dort auch einen Swimmingpool geben.
» Nein«, stöhnte Roddy. » Ich bin echt ziemlich kaputt. Wenn’s dir recht ist, haue ich mich ein bisschen aufs Ohr, bevor wir zum Abendessen gehen.«
» Klar doch«, sagte Rebecca. » Du entspannst dich, und ich wecke dich dann nachher zum Essen.«
Er nahm seine Baseballkappe ab, legte sie auf den kleinen Beistelltisch und zog auf dem Bett die Beine an die Brust. Rebecca trat ans Fenster, um die Vorhänge zuzuziehen. » Möchtest du im Hotel essen oder in die Stadt gehen?«, fragte sie.
» Du entscheidest. Ich bezahle.«
Rebecca warf einen Blick in das Hotelrestaurant, der ihre Ahnung bestätigte. Zwei ältere Ehepaare saßen mit Scones und anderem Gebäck beim Nachmittagstee. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass Roddy sich hier wohlfühlen würde.
Der Wellnessbereich inklusive eines Indoorpools war im Keller untergebracht. Sie hatte zwar keinen Badeanzug eingepackt, erfuhr aber, dass man an der Rezeption einen kaufen konnte.
Die Bedienung am Tresen war nicht älter als zwanzig, hatte glatte, seidig schimmernde Haut und kam ganz ohne Make-up aus. Das blonde Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie gab sich alle Mühe, freundlich zu sein, schlug Rebecca sogar vor, eine kleinere Größe zu nehmen, was bei jeder Frau gut ankommt.
Am flachen Ende des Schwimmbeckens planschte eine Familie. Ein Vater warf ein Kleinkind immer wieder hoch in die Luft, während die Mutter mit leicht besorgter Miene zusah. Im Whirlpool saß ein älteres Mädchen, das sich zweifellos wünschte, woanders zu sein. Auf dem Weg zu den Umkleidekabinen lächelte Rebecca ihm im Vorbeigehen zu, erntete aber bloß einen mürrischen Blick.
Dann sieh eben zu, wie du zurechtkommst.
Im Umkleideraum war sie die Einzige, konnte sich und ihren neuen Badeanzug also unbefangen in dem bis zum Boden reichenden Wandspiegel betrachten. Nachdem die Geburt ihres Sohnes die Proportionen ihres Körpers unwiderruflich durcheinandergebracht hatte, war es ihr doch gelungen, sich eine einigermaßen sportliche Figur zu bewahren. Nur ihre Brüste hatten sich anscheinend für immer verändert, obwohl sie Connor nicht länger als sechs Wochen lang gestillt hatte. Zudem waren in dem kalten, grellen Licht der Neonröhren zweifellos Anzeichen von Cellulitis an ihren Oberschenkelrückseiten zu erkennen. Und trotzdem: Unterm Strich betrachtet sah sie gar nicht mal so übel aus.
Am tiefen Ende des Pools ließ Rebecca sich ins Wasser gleiten und schwamm dann zwanzig Minuten lang immer wieder die Länge des Beckens ab. Die leichte Anstrengung machte sie wieder munter; anschließend ließ sie sich auf dem Rücken treiben, sodass ihr Haar sich wie ein Heiligenschein rund um ihren Kopf herum ausbreitete.
Unter lautem Geschnatter verließ die Familie, die mit ihr das Becken geteilt hatte, das Schwimmbad, und sie war allein. Rebecca genoss den seltenen Moment der Stille, bis in der Ecke der Whirlpool zu blubbern und zu schäumen begann. Offenbar schaltete er sich automatisch ein und aus. Sie kraulte in den Nichtschwimmerbereich und stieg in das Sprudelbad. Die Wärme im Unterwassermassagebecken tat ihr nach der Anstrengung gut.
Im Geiste ging sie noch einmal die Ereignisse des Vorabends durch– dachte an die beiden Schlägertypen auf dem Hotelparkplatz– und schalt sich dafür, so dünnhäutig und– wenn sie ehrlich zu sich war– sogar ein bisschen ängstlich gewesen zu sein. Als Polizeibeamtin war sie seit nunmehr zwei Jahren nicht mehr auf Streife gewesen und hatte den Instinkt der Straße verloren, dieses wie ein Radar funktionierende Vorwarngefühl, das meldete, wenn etwas passieren würde.
Weitere Kostenlose Bücher