Ungnade: Thriller (German Edition)
nickte bedächtig. Sie hat wirklich eine sonderbare Art und Weise, eine Aussage aufzunehmen, dachte Rebecca.
» Wir waren früher mal enger befreundet«, sagte sie. » Als wir noch Teenager waren.«
» Und heute?«
» Er brauchte Hilfe, also habe ich ihm geholfen.«
» Weshalb brauchte er Hilfe?«
Also haben sie bis jetzt noch keine Blutuntersuchung gemacht, dachte Rebecca. Wahrscheinlich noch keine Zeit. Andererseits müssen sie ihn wenigstens gegoogelt und von seinen Drogengeschichten gelesen haben.
» Er hatte mit Drogenproblemen zu kämpfen. Aber das dürften Sie bereits wissen.«
Wieder nur ein Kopfnicken. Anscheinend wahrte man hier selbst dann professionelle Distanz, wenn man einer Kollegin gegenübersaß. Nein, man wahrte sie gerade dann, wenn es jemand von der eigenen Truppe war. Zu viel schlechte Presse hatte in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass man beim Umgang mit den eigenen Kollegen vorsichtiger war als mit echten Verbrechern.
» Jedenfalls«, fügte Rebecca hinzu, » ging es ihm besser. Er war schon eine ganze Weile clean.«
» Wollte er vielleicht vor etwas davonlaufen? Oder vor jemandem?«
» Ich weiß nicht, glaube es aber nicht. Dennoch war das heute Abend auch mein erster Gedanke, nachdem…«
Tief durchatmen.
» Nachdem es passiert ist.«
Die Beamtin beugte sich vor und legte ihre Handflächen aneinander.
» Möchten Sie jetzt erzählen?«
» In Ordnung.«
Die Beamtin überließ Rebecca sich selbst und einer braunen Papiertüte, in die sie ihre Kleidung packen sollte. Sie fühlte sich allein, als sie sich bis auf die Unterwäsche auszog. Ihre Sachen ließ sie zunächst auf dem Tisch liegen, während sie sich wieder ankleidete. Sie wollte nicht halb nackt sein, wenn die Leute vom CID kamen.
Nachdem sie ihre Kleidungsstücke ordentlich zusammengelegt hatte, steckte sie sie in die Tüte, dann setzte sie sich wieder an den Tisch und trank den letzten Schluck ihres inzwischen nur noch lauwarmen Tees. Die Beamtin kam zurück und betrat ohne anzuklopfen den Raum. Sie führte Rebecca in ein etwas formelleres Vernehmungszimmer, in dem ein ältlicher Kassettenrecorder bereitstand, um ihre Aussage aufzunehmen. Anschließend verschwand sie wieder, wahrscheinlich um ihre Kleidung in die Asservatenkammer zu bringen.
Als sie an die Zimmerdecke blickte, entdeckte Rebecca in einer der Ecken eine auf sie gerichtete Kamera. So also musste man sich fühlen, wenn man eines Verbrechens beschuldigt wurde.
12
Als sich die Tür erneut öffnete, betrat ein großer, schlanker Mann im dunkelgrauen Anzug, gefolgt von der Polizistin, den Raum. Unter seinem streng nach hinten gekämmten Haar waren die Geheimratsecken bereits zu erkennen.
Rebecca erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. Sie wertete es als gutes Zeichen, als er diese ohne Zögern ergriff und schüttelte.
» Ich bin Detective Sergeant Campbell«, stellte er sich vor. » Bleiben Sie doch sitzen, das muss ja die reinste Horrornacht für Sie gewesen sein.«
» Das kann man wohl sagen.«
» Sollen wir jemanden für Sie anrufen?«
» Ich denke, es ist ziemlich spät, um jetzt noch jemanden aus dem Bett zu holen.«
» Natürlich«, sagte er verlegen lächelnd. » Im Dienst verliert man manchmal jedes Gefühl für Zeit. Geht es Ihnen nicht auch so?«
Rebecca nickte zustimmend, auch wenn sie es höchst unwahrscheinlich fand, dass die Abteilung für Kriminalermittlungen in diesem abgelegenen Teil der Welt an Sonntagabenden regelmäßig Nachtschichten schob. Wahrscheinlich hatte man den Detective speziell für diesen Fall von zu Hause kommen lassen.
Campbell wandte seine Aufmerksamkeit dem Kassettenrecorder zu, überprüfte die Funktion beider Laufwerke und vergewisserte sich, dass die Bänder auch bis zum Anfang zurückgespult waren. Als er mit allem zufrieden war, drückte er die Aufnahmetaste beider Laufwerke und wartete einen Augenblick, um dann Datum und Uhrzeit aufs Band zu sprechen.
» Hier spricht Detective Sergeant Campbell. Ich nehme jetzt die Aussage von Rebecca Catherine Irvine zu den Umständen des Todes von Roddy James Hale zu Protokoll.«
Rebecca erzählte alles, was sie wusste, angefangen von dem Konzert über die Geschehnisse im Krankenhaus bis zu dem, was danach passiert war. An den Reaktionen der beiden Polizeibeamten, der Art, wie sie rasche Blicke miteinander tauschten, konnte sie ablesen, dass man ihrer Theorie, die beiden Männer vom Parkplatz könnten Roddy hierhergefolgt sein, mit Skepsis begegnete. Für
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