Ungnade: Thriller (German Edition)
Samantha trat heftig auf die Bremse.
» Nicht«, sagte Cahill. » Fahr weiter bis zum Haus und park den Wagen in der Einfahrt.«
Sie sah ihn an und rollte im Schritttempo weiter.
» Sam.« Sein Ton wurde schärfer. » Fahr ganz normal nach Hause, sonst kann’s unangenehm werden.« Er legte die Hand auf die ihre, die den Schaltknüppel umschloss. » Bitte, Sam. Tu, was ich sage.«
Sie sah ihn noch einmal kurz von der Seite an, gab dann sachte Gas und wollte in die Einfahrt einschwenken. Im Rückspiegel beobachtete Cahill, wie die beiden Verfolgerwagen an der Einmündung ihrer Straße Position bezogen und sie damit für andere Fahrzeuge blockierten.
Jetzt geht’s los, dachte er.
Die Reifen knirschten auf dem Kies der Garageneinfahrt, und der Wagen kam zum Stillstand.
» Und jetzt?«, wollte Samantha wissen.
» Wo sind die Mädchen?«
» Bei einer Freundin.«
» Gut.«
» Alex, was geht hier vor?«
» Wenn ich das nur wüsste.«
Ohne auf den Schmerz in seiner Seite zu achten, beugte er sich zu ihr und küsste sie.
» Geh ins Haus und lass mich das mit Anstand erledigen. Es ist besser, wenn ich mich freiwillig stelle.«
» Aber wieso…?«
Er sah die Tränen in ihren Augen und bekam eine Stinkwut auf die Bullen– weil sie ihre Aktion in seinem Zuhause durchführen wollten. Eine völlig überflüssige Machtdemonstration.
Über ihnen war bereits das Wuppwuppwupp der Rotorblätter eines Hubschraubers zu vernehmen, der über dem Haus kreiste.
» Es wird sich schon alles klären, Sam. Aber jetzt geh bitte hinein.«
Sie wischte sich über die Augen, verschmierte ihr Make-up, griff nach seiner Hand und drückte sie. » Ich rufe Logan an«, sagte sie. » Er wird wissen, was zu tun ist.«
Dann stieg sie aus. Cahill sah ihr hinterher, wie sie rasch zur Tür ging und im Haus verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.
» Okay, Leute«, sagte Cahill laut, wie um sich selbst Mut zu machen. » Ich komme jetzt, egal, ob ihr so weit seid oder nicht.«
Er stützte sich wieder am Türrahmen des Wagens ab, um auszusteigen, dann ging er die paar Schritte bis zur Gartenpforte. Ein leichter Wind war aufgekommen, und von Norden zogen dunkle Wolken auf, die weiteren Regen mit sich bringen würden.
Er blickte die Straße entlang, kniete langsam nieder und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Noch bevor er sie sah, hörte er sie schon näher kommen: dumpfe Schritte in schweren Stiefeln auf dem Straßenpflaster, Waffen, die beim Laufen aneinanderklackten.
» Polizei! Keine Bewegung!« Die Stimme versagte fast vor Anspannung. Der Beamte hatte mehr Schiss als Cahill selbst.
» Runter auf den Boden«, befahl eine zweite Stimme.
Das hatten wir doch gerade erst.
Cahill nahm die Hände herunter und stützte sich mit ihnen ab, als er sich mit dem Gesicht auf den Boden legte, dann verschränkte er die Arme wieder hinter dem Kopf.
Der süße, sommerliche Geruch vom trocknenden Regen drang ihm vom Pflaster in die Nase.
Dann stürzten sie sich auf ihn.
Jemand setzte sich auf seine Beine, ein anderer drückte ihm das Knie in den Rücken.
Seine angebrochenen Rippen schmerzten so sehr, dass er schreien wollte. Instinktiv setzte er sich gegen seine Peiniger zur Wehr.
» Keine verdammte Bewegung, ja?«
Die Mündung einer Waffe wurde gegen seinen Hinterkopf gepresst.
Handschellen rissen Haut von seinen Handgelenken.
Kräftige Arme griffen unter ihn, packten ihn und zerrten ihn hoch. Vor Schmerz wurde ihm weiß vor Augen.
Lass dir deine Schmerzen nicht anmerken. Verschaff ihnen nicht die Befriedigung.
Er fand sich aufrecht stehend wieder, mit einem Sturmtruppenpolizisten rechts und links sowie einem vor sich. Und mit drei auf seinen Kopf gerichteten Waffen.
Erst jetzt erschien George Kelly von der Sonderabteilung des Yard, sein Kollege Livingstone folgte ihm mit geringem Abstand.
» Alexander Cahill«, sagte Kelly, » ich nehme Sie gemäß Paragraph vierzehn des schottischen Strafgesetzbuches vorläufig in Gewahrsam, da Sie unter dem Verdacht stehen, ein mit Haft bestraftes Verbrechen begangen zu haben: Mord…«
Es war, als würde Kellys Stimme ausgeblendet. Cahill hörte ihn noch leise sagen, dass man ihn jetzt auf ein Polizeirevier brächte.
Mord. Wie das?
Hinter ihm stand Sam am Fenster. Sie weinte. Vor lauter Entsetzen presste sie sich die Hand vor den Mund.
6
Cahill saß bewegungslos da, bemühte sich, gleichmäßig zu atmen und seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Gefängnisse waren ihm nicht
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